Köln

Chip-Krieg

China reduziert Rohstoffausfuhr und entwickelt eigene Chip-Produktion

Uncle Sam stochert mit einem schartigen Schwert vor einem großen Chip-Symbol in der Luft herum.
Illustration: Chen Xia/Global Times

Der Chip-Krieg ist ein globaler Wettbewerb um die Winzigkeit von Schaltkreisen.
Die Zahnradfabrik Friedrichshafen AG, abgekürzt ZF, gehört der Zeppelin-Stiftung und die wiederum zu 93,8% der Stadt. Das Z könnte also auch für Zeppelin stehen. ZF ist ein weltweit aktiver Technologiekonzern. Er liefert Systeme für die Mobilität von Personenkraftwagen, Nutzfahrzeugen, für Industrietechnik sowie Rüstungsgüter. ZF erzielte im vergangenen Jahr mit weltweit rund 165.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 43,8 Milliarden Euro. Zusammen mit dem US-Chiphersteller Wolfspeed baut ZF für ungefähr drei Milliarden Euro im saarländischen Ensdorf die weltgrößte Fabrik für Halbleiter aus Siliziumkarbid.

Bosch investiert jeweils dreistellige Millionensummen in Dresden und in Reutlingen. In Crolles bei Grenoble bauen die französisch-italienische Stmicro und der US-Konzern Globalfoundries für 7,5 Milliarden Euro eine Chipfabrik, in der sie gleichfalls Halbleiter für die Kfz-Branche herstellen wollen. Inzwischen sind in 15 EU-Staaten 68 strategisch wichtige Projekte gemeldet worden. Das größte Projekt ist eine Chipfabrik des US-Konzerns Intel in Magdeburg. Kosten 27 Milliarden Euro. Intel wird dort mit den modernsten Maschinen aus der Produktion des niederländischen Konzerns ASML Halbleiter in einer Größe von unter 5 Nanometern produzieren. (Die Firma ASM - Advanced Semiconductor Materials - von 1968 schloss sich 1984 mit Philips zusammen, heißt seitdem ASML - L für Lithography).

Für das Projekt in Magdeburg werden Intel zehn Milliarden Euro an Subventionen ausgereicht. Die beiden Werke, in denen bis zu 10.000 Beschäftigte einer Lohnarbeit nachgehen sollen, erhalten zehn Milliarden Euro vom Staat, also eine Million pro Arbeiter. Auch für weitere Halbleiterwerke zahlt Berlin umfängliche Summen. Infineon etwa kassiert eine Milliarde Euro, Wolfspeed und ZF erhalten ein Viertel des Investitionsbetrags vom Staat.

Just heute, am 8. August, erfahren wir von der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), dem Branchenprimus mit 75,9 Mrd Dollar Umsatz und 34,1 Mrd Dollar Reingewinn in 2022: Gleich neben der Bosch-Fabrik in Dresden will der Konzern zusammen mit Infineon (10%), Bosch (10%) und der niederländischen NXP Semiconductors (10%) eine Chipfabrik als Gemeinschaftsunternehmen European Semiconductor Manufactoring Company (ESMC) errichten. Kosten: 10 Mrd Euro. Arbeitsplätze: 2000. Subvention: 5 Mrd Euro. Subvention pro Arbeitsplatz: 2,5 Mio Euro. Erster Spatenstich 2024, Fertigstellung Ende 2027. Es sollen Industriechips produziert werden, Halbleiterbestandteile in der Größenordnung von 12 und 29 Nanometern. Derweil verzögert sich der Start einer Chips-Fabrik von TSMC in Arizona. Dort soll es erst 2025 losgehen. Grund sei der Mangel an qualifiziertem Personal.

Auch Paris legt immense Beträge auf den Tisch; allein in Crolles sind es 2,9 Milliarden Euro.
Laut Jörg Kronauer (jW 18. Juli 2023) will Intel die komplette Wertschöpfungskette in Europa abdecken. Zu den bereits bestehenden Fabriken in Irland und den neu entstehenden in Deutschland soll eine weitere in Polen entstehen. Die in Leixlip bei Dublin und in Magdeburg gefertigten Halbleiter sollen in Polen verpackt und getestet werden. Das Werk in Wroclaw erfordert eine Investition von 4,6 Milliarden US-Dollar. Vor zwei Jahren, am 15. September 2021, hatte Ursula von der Leyen im Namen der EU-Kommission ein Chip-Gesetz angekündigt. Während die Nachfrage weltweit explodiert sei, habe der Anteil Europas an der gesamten Wertschöpfungskette abgenommen, und zwar von der Produktgestaltung bis hin zur Fertigungskapazität. «Wir hängen von Hochleistungschips aus Asien ab.» Das sei nicht nur eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch eine der technologischen Souveränität. Der angekündigte European Chips Act folgte am 8. Februar 2022. Ziel: Das Gesetz soll «ein florierendes Halbleiter-Ökosystem von der Forschung bis zur Produktion und eine resiliente Lieferkette schaffen. Es wird 43 Mrd. EUR in Form von öffentlichen und privaten Investitionen mobilisieren.» «Es wird die EU in die Lage versetzen, ihren derzeitigen Marktanteil bis 2030 auf 20 % zu verdoppeln.»

Der European Chips Act wurde am 25. Juli 2023 vom EU-Parlament gebilligt. Aber mit 3,3 Milliarden Euro kommt nur ein kleiner Teil von der EU. Den Rest sollen die Mitgliedsländer und Unternehmen aufbringen.
Aber Stephan Finsterbusch (FAZ vom 7. August 2023) wähnt hier schon das kommunistische Gespenst. Er fragt: «Ist in der Chipindustrie eigentlich der Sozialismus samt Staatsfinanzierung, Plan und Kommandowirtschaft ausgebrochen?» Die 10-Mrd-Subvention für Intel sei maßlos und ein ordnungspolitischer Sündenfall. Die 2,5 Mrd-Investition von Wolfspeed und ZF im Saarland zu einem Viertel zu subventionieren, sei ein Vabanquespiel. Ebenso kritisiert er die Milliarde für die neue 5-Mrd-Fabrik von Infineon in Dresden. Denn auch woanders würde mit beiden Händen viel Geld verteilt. Die Amerikaner finanzierten mit Staatszuschüssen von mehr als 50 Mrd Dollar den Bau von knapp zwei dutzend Chipfabriken. (Darüber hinaus stellt die US-Regierung weitere 170 Milliarden US-Dollar für die Forschung und Entwicklung von neuen Halbleitern zur Verfügung. Die Branche erfährt einen außerordentlichen Boom: Der US-Chipkonzern Nvidia überstieg an der Börse Ende Mai die Schwelle der Marktkapitalisierung von einer Billion US-Dollar. - K.)

Taiwan und Korea planen Beihilfen im Umfang von jeweils dreistelligen Milliarden-Dollar-Beträgen. Finsterbusch, FAZ: «Gaben in den Neunzigerjahren noch Europa und Amerika den Ton in der Branche an, stehen heute Produzenten aus Asien an der Spitze. Dort werden seit Jahren die meisten und modernsten Chips gefertigt. Chips, die Smartphones und Computer steuern, die ganze Industrien am Laufen halten und Maschinen mit Maschinen kommunizieren lassen. Das macht Chips zu zentralen Bausteinen der modernen Industrie. Daher muss sie jeder haben; daher will sie jeder bauen; daher wurde auch das Subventionsrennen gestartet – und das nicht erst seit gestern.»

Der Autor schließt seine kurze Darstellung dieses Wettlaufs und sagt: «Zwischen 2014 und 2018 erhielten die 21 größten und gewinnreichsten Chiphersteller der Welt sage und schreibe 50 Milliarden Dollar an staatlichen Beihilfen. Die höchsten Summen kassierten asiatische Konzerne, die geringsten europäische. Wundert es angesichts dieser Verzerrungen, dass Europa keinen eigenen Chiphersteller mehr unter den zehn größten der Branche hat; dass es keinen eigenen Prozessor- und Speicherchiphersteller beheimatet?» Jetzt soll der Chip Act die Chip-Engpässe abwehren, Abhängigkeiten von Asien verringern und den europäischen Marktanteil auf 20% verdoppeln. «Koste es, was es wolle – und seien es ein paar bewährte Prinzipien der Marktwirtschaft.»

Nun, es drängt sich der Eindruck auf, dass auch diese bewährten Prinzipien der Marktwirtschaft versagen.
Hier zeigt sich die politische Ausweglosigkeit. Wir hatten am 22. Mai auf der Innenstadt-MV im Zusammenhang mit der Dartellung der Veränderung globaler Kräfteverhältnisse an die «Nationale Industriestrategie 2030» des vormaligen Bundeswirtschaftsministers Altmaier erinnert. Seinen Vorschlag machte er Anfang 2019. Es wurde nichts draus.

In der Tat besteht das Dilemma der Herrschenden im Kern im kapitalistischen Grundwiderspruch zwischen dem wachsenden gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privaten Aneignung und Verfügung über die Produktivkräfte. Zunehmend wird das mit der Anhäufung von Kapital verbundene Wachstum der Produktivkräfte zu einem Hemmschuh für die Kapitalverwertung. «Die Vergesellschaftung der Produktion stößt beständig auf die Schranken des privatkapitalistischen Eigentums.» (Peter Hess, Monopoltheorie und Kapitalismuskritik, in: Ökonomische Theorie, politische Strategie und Gewerkschaften, Frankfurt a.M., 1971).

Um diesem Dilemma zu entrinnen, entfesselt der Imperialismus Wirtschafts- und Schießkriege.

Namentlich die USA sehen sich an einem historischen Wendepunkt. Die wichtigste Waffe, so Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan am 12. Oktober letzten Jahres, sei die US-amerikanische Hochtechnologie. «Wir verfolgen eine moderne Industrie- und Innovationsstrategie, indem wir unsere ökonomische Stärke und unsere technologische Führerschaft zu Hause investieren. Das ist die tiefste Quelle unserer Macht in der Welt.» Folglich sollen weitreichende Handelsbeschränkungen verhindern, dass China Hochleistungschips bezieht. Solche Beschränkungen gelten aber auch für Ausrüstungen zur Herstellung von Halbleitern. US-Amerikanern ist verboten, für chinesische Chip-Fabriken zu arbeiten.

Am 27. Januar einigten sich die USA mit den Niederlanden und Japan auf ein Embargo. In beiden Ländern werden Spezialmaschinen zur Chip-Produktion hergestellt. Das niederländische Unternehmen ASML wird keine komplexe EUV-Maschinen an China liefern, gar solche, die die bislang kleinstmöglichen Chips von bis zu zwei Nanometern fertigen. Auch die Lieferung von DUV-Maschinen (deep ultra violet) ist verboten.
Das wiederum mutet der US-amerikanischen Technologiebranche Einbußen zu. Dreiviertel der Gesamtmenge von Chips, die in der Welt hergestellt werden, werden nach China exportiert, das selbst nur 15% der Halbleiter herstellt. Bei den Exportbeschränkungen geht es hauptsächlich um Chips einer Größe unter 14 Nanometer. In Taiwan und Südkorea werden unterdessen leistungsfähigere Chips der Größe 5 und 3 Nanometer hergestellt. Die US-Regierung will die chinesischen Internetgiganten Baidu, Alibaba und Bytedance treffen. Der Chipmangel soll die Entwicklung Künstlicher Intelligenz bremsen. Der Boykott, der bislang nur den Smartphonehersteller Huawei traf, gilt jetzt für 28 weitere chinesische Firmen.

 Indessen ist die Technologiebranche international höchst arbeitsteilig organisiert. Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) hat schon mal vorweg die Erlaubnis erlangt, für ein Jahr Ausrüstung und Maschinen für ihre in China liegenden Halbleiterwerke einzuführen. Auch andere Firmen kommen in den Genuss derartiger Ausnahmeregelungen, zumal der US-Wirtschaftskrieg gegen China die Hightechindustrie von Taiwan gefährdet. Nun werden für die Produktion von Akkus und Halbleitern sogenannte Seltene Erden benötigt. Zwei Drittel davon importiert Deutschland aus China. Laut Tagesschau vom 24. Januar wurden von Januar bis November 2022 rund 5300 Tonnen dieser Rohstoffe im Wert von 49,3 Millionen Euro importiert. China liefert derzeit 94 Prozent der weltweiten Gallium-Produktion. Das seltene Metall wird beispielsweise für Chipkarten benötigt, aber auch für LEDs und Solaranlagen. Aber seit dem 1. August gilt eine Verfügung des Handelsministeriums der Volksrepublik China, wonach Unternehmen, die die Metalle mit den schönen Bezeichnungen Gallium oder Germanium ausführen möchten, eine gesonderte Lizenz benötigen. Das wurde Anfang Juli kurz vor dem Besuch der US-Finanzministerin Janet Yellens mitgeteilt. Es könnten zudem Ausfuhrbeschränkungen bei weiteren Rohstoffen folgen. Mit Blick auf die verschärften US-Sanktionen erläuterte Wang Huiyao, Präsident des Center for China and Globalization, einer Denkfabrik in Beijing, die Volksrepublik könne unmöglich »einfach all die Giftpillen schlucken und weiterlächeln«.

Schon im Mai gab es Streit um die Nutzung von Speicherchips des US-Konzerns Micron in chinesischen IT-Systemen. Chinas Aufsichtsbehörden hatten die Firma als Sicherheitsrisiko eingestuft und vom chinesischen Markt verbannt. Das Weiße Haus nölte, dieser Vorwurf basiere nicht auf Fakten. Antwort: die US-Regierung habe umgekehrt zahlreiche chinesische Firmen auf schwarze Listen gesetzt und mit Sanktionen belegt.
JW am 25. Mai: Mike Gallagher, Sprecher des China-Ausschusses im Repräsentantenhaus, wollte jetzt den chinesischen Speicherchip-Anbieter CXMT auf die US-Sanktionsliste setzen. Außerdem müsse verhindert werden, dass Firmen aus Drittstaaten die wegfallenden Micron-Lieferungen ersetzten. Die USA müsse »der Volksrepublik China klarmachen, dass sie wirtschaftliche Nötigung gegen ihre Unternehmen oder ihre Verbündeten nicht dulden werden«.

CXMT ist der führende chinesische Speicherchiphersteller. Technisch sind die Produkte von CXMT noch nicht so weit wie die von westlichen Anbietern, vor allem von Micron, Samsung oder SK Hynix (beide Südkorea). Samsung und SK Hynix betreiben Werke in der Volksrepublik. Die USA hatten in Verhandlungen mit Südkorea weitere Aufträge hintertreiben wollen.
Jörg Kronauer berichtete am 11. Juli in der jW von einigen Durchbrüchen chinesischer Unternehmen bei der Herstellung von Halbleitern. Bereits im vergangenen Jahr sei es dem Unternehmen SMIC aus Shanghai gelungen, Sieben-Nanometer-Chips herzustellen. Im März teilte Huawei mit, man habe einen Durchbruch beim Design von 14-Nanometer-Chips erreicht; im Mai war zu hören, Empyrean Technology, ein Unternehmen mit Hauptsitz in Beijing, habe Fortschritte bei Sieben- und sogar Fünf-Nanometer-Chips erreicht.

Klaus, KV Köln 8. August 2023


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