Partei

Die Völker Europas gegen das Europa der Banken und Konzerne

Referat auf der Sitzung des DKP-Bezirksvorstands Rheinland-Westfalen

Europa wird von einem Stier davongetragen.

Köln, 8. De­zem­ber 2013. Wir do­ku­men­tie­ren:

­Eu­ro­päi­sche Ei­ni­gungs­be­stre­bun­gen gibt es schon län­ger. Ei­ne der Ide­en da­zu ent­stammt der Schrift von Kant »Zum ewi­gen Frie­den« von 1795. Kant stell­te sich ei­nen Völ­ker­bund von Staa­ten mit re­pu­bli­ka­ni­scher Ver­fas­sung vor.

Nach dem ers­ten Welt­krieg hat Graf von Cou­den­ho­ve-Kal­er­gi eu­ro­päi­sche Ei­ni­gungs­ide­en im Pan­eu­ro­päi­schen Ma­ni­fest vom 1. Mai 1924 for­mu­liert. Er woll­te drei Ge­fah­ren vor­beu­gen: ei­nem wei­te­ren eu­ro­päi­schen Krieg, der Er­obe­rung Eu­ro­pas durch die zur Welt­macht auf­stei­gen­den So­wjet­uni­on und dem wirt­schaft­li­chen Ru­in Eu­ro­pas als ame­ri­ka­ni­scher Wirt­schafts­ko­lo­nie.

»Die ein­zi­ge Ret­tung vor die­sen dro­hen­den Ka­ta­stro­phen ist: Pan­eu­ro­pa; der Zu­sam­men­schluss al­ler de­mo­kra­ti­schen Staa­ten Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pas zu ei­ner in­ter­na­tio­na­len Grup­pe, zu ei­nem po­li­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Zweck­ver­band. Die Ge­fahr des eu­ro­päi­schen Ver­nich­tungs­kriegs kann nur ge­bannt wer­den durch ei­nen pan­eu­ro­päi­schen Schieds­ver­trag; die Ge­fahr der rus­si­schen Herr­schaft kann nur ge­bannt wer­den durch ein pan­eu­ro­päi­sches De­fen­siv­bünd­nis; die Ge­fahr des wirt­schaft­li­chen Ru­ins kann nur ge­bannt wer­den durch ei­ne pan­eu­ro­päi­sche Zoll­uni­on.«

A­ber auch die SPD hat schon 1925 in ih­rem Hei­del­ber­ger Pro­gramm die »Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Eu­ro­pa« ge­for­dert.

Fünf-Mark-Schein mit Europa und Stier, 1948.

Wins­ton Chur­chill hielt am 19. Sep­tem­ber 1946 an der Uni­ver­si­tät Zü­rich ei­ne Re­de, in der er von den »United Sta­tes of Eu­ro­pe« nach dem Vor­bild der »United Sta­tes of Ame­ri­ca« sprach. Es ist der­sel­be Chur­chill der be­reits im Mai 1945, die Ope­ra­ti­on Un­t­hin­ka­ble, ei­nen Ge­heim­plan für ei­nen An­griff auf die So­wjet­uni­on aus­ar­bei­ten ließ. Er stell­te ihn zu­guns­ten Prä­si­dent Trum­ans Ein­däm­mungs­po­li­tik zu­rück, be­stärk­te in­des die USA dar­in, die So­wjet­uni­on mit Atom- und Was­ser­stoff­bom­ben zu be­dro­hen.

Zwei-Euro-Münze mit Europa und Stier, 2002.

Vor dem Hin­ter­grund des Kal­ten Krie­ges un­ter­stütz­te das Ame­ri­can Com­mit­tee for a United Eu­ro­pe die Eu­ropean Con­fe­rence on Fe­de­ra­ti­on, die erst­mals am 7. Mai 1948 un­ter dem Vor­sitz von Wins­ton Chur­chill in Den Haag tag­te und an der Par­la­ments­mit­glie­der der 16 Emp­fän­ger­län­der des Mar­shall­plans teil­nah­men.

Das al­les il­lus­triert, wie sehr die Geg­ner­schaft ge­gen die So­wjet­uni­on und den So­zia­lis­mus von Be­ginn an die fol­gen­den Ver­trä­ge prägt.

1949 wur­de der Eu­ro­pa­rat in Straß­burg ins Leben gerufen

Bald mach­te aber Groß­bri­tan­ni­en, das sich noch auf das Com­mon­wealth glaub­te stüt­zen zu kön­nen, die po­li­ti­schen Per­spek­ti­ven, die zu­nächst mit dem Eu­ro­pa­rat ver­bun­den wa­ren, zu­nich­te.

1950 wur­de die Mon­tan­uni­on ge­grün­det

Im sel­ben Jahr kam es zu den Be­stre­bun­gen ei­ner Eu­ro­päi­schen Ver­tei­di­gungs­ge­mein­schaft, die zu­guns­ten der 1955 ge­grün­de­ten NA­TO auf­ge­ge­ben wur­den. Es folg­ten EWG und Eu­ra­tom, die in Ge­stalt der Rö­mi­schen Ver­trä­ge zu Be­ginn des Jah­res 1958 in Kraft tra­ten. Mit­glie­der wa­ren BRD, Frank­reich, die Be­ne­lux-Staa­ten und Ita­li­en. Seit­dem ha­ben wir es mit der Eu­ro­päi­schen Kom­mis­si­on in Brüs­sel zu tun und mit ei­nem Eu­ro­päi­schen Par­la­ment in Straß­burg, al­ler­dings oh­ne die le­gis­la­ti­ven Rech­te ei­nes Par­la­ments oder gar sol­chen der Kon­trol­le der Exe­ku­ti­ve.

1968 wur­de dar­aus die Eu­ro­päi­sche Ge­mein­schaft (EG) und 1972 die EU

1973 ka­men GB, Ir­land und Dä­ne­mark da­zu. Im sel­ben Jahr brach das Bret­ton-Woods-Sys­tem mit dem Dol­lar als Leit­wäh­rung zu­sam­men mit der Fol­ge ei­nes ers­ten Ver­suchs ei­nes eu­ro­päi­schen Wäh­rungs­ver­bun­des, der am 1. Ja­nu­ar 1979 als Eu­ro­päi­sches Wäh­rungs­sys­tem in Kraft trat. Es sah Wech­sel­kurs­schwan­kun­gen von ±2,25% vor und als Ver­rech­nungs­ein­heit den ECU, Vor­gän­ger des Eu­ro.

1981 wur­de Grie­chen­land auf­ge­nom­men,

Spa­ni­en und Por­tu­gal 1986. Eng­land konn­te 1984 un­ter That­cher ei­ni­ge Son­der­be­din­gun­gen aus­han­deln. Die Ein­heit­li­chen Eu­ro­päi­schen Ak­te (EEA) soll­ten den Bin­nen­markt bis 1992 voll­enden. Mit dem Zu­sam­men­bruch der so­zia­lis­ti­schen Län­der er­blüh­te die EU, die In­te­gra­ti­on be­kam neu­en Schwung, Deutsch­land ge­wann an Ge­wicht. Am 7. Fe­bru­ar 1992 wur­den im Ver­trag von Maas­tricht die Wirt­schafts- und Wäh­rungs­uni­on (WWU), die po­li­ti­sche Uni­on, ei­ne en­ge Zu­sam­men­ar­beit in der Au­ßen- und Si­cher­heits­po­li­tik, der Jus­tiz- und In­nen­po­li­tik so­wie ei­ne ge­mein­sa­me Wäh­rung für den 1. Ja­nu­ar 1999 ver­ein­bart. Auch die Auf­ga­ben der Eu­ro­päi­schen Zen­tral­bank wur­den de­fi­niert.

­Der Ver­trag von Maas­tricht konn­te in­des erst nach der Über­win­dung ei­ni­ger Pro­ble­me 1993 in Kraft tre­ten. Un­ter an­de­rem lehn­ten ihn die Dä­nen in ei­ner Volks­ab­stim­mung zu­nächst ab.

Ös­ter­reich, Schwe­den und Finn­land tra­ten ihm 1995 bei, so dass er 15 Mit­glie­der um­fass­te.

Eu­ro­päi­sche Mär­sche ge­gen Er­werbs­lo­sig­keit…

­Aus­ge­hend von der fran­zö­si­schen Ar­beits­lo­sen­be­we­gung AC! (As­sez! = ge­nug!), die schon 1994 Mär­sche or­ga­ni­siert hat­te, mo­bi­li­sier­ten die »Eu­ro­päi­schen Mär­sche ge­gen Er­werbs­lo­sig­keit, un­ge­schütz­te Be­schäf­ti­gung und Aus­gren­zung« in vie­len Län­dern Eu­ro­pas. Im Ju­ni 1997 ka­men an­läss­lich des EU-Gip­fels schlie­ß­lich in Ams­ter­dam 67 000 Men­schen zu­sam­men. Of­fen­bar reich­ten die­se Pro­tes­te nicht aus. Die Staats- und Re­gie­rungs­chefs der Eu­ro­päi­schen Uni­on er­wei­ter­ten in Ams­ter­dam die Ver­trags­la­ge um ei­ne eu­ro­päi­sche Be­schäf­ti­gungs­po­li­tik, wie sie ih­re Vor­schlä­ge nann­ten. Bei der Ge­le­gen­heit des so­ge­nann­ten Be­schäf­ti­gungs­gip­fels de­mons­trier­te der Eu­ro­päi­sche Ge­werk­schafts­bund am 20. No­vem­ber in Lu­xem­burg. Am 6. Ju­li 1998 be­schloss der EU-Mi­nis­ter­rat mit ei­ner, wie sie of­fi­zi­ell ge­nannt wird, nicht ver­öf­fent­li­chungs­be­dürf­ti­gen Rechts­ak­te:

  • »ei­ne mit dem Ziel der Preis­sta­bi­li­tät zu ver­ein­ba­ren­de No­mi­nal­lohn­ent­wick­lung« »Zu­gleich soll­te die Re­al­lohn­ent­wick­lung im Ver­hält­nis zum Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wachs ste­hen und dem Er­for­der­nis Rech­nung tra­gen, dass die Ren­ta­bi­li­tät der In­ves­ti­tio­nen zur Schaf­fung von mehr Ar­beits­plät­zen er­höht wer­den muss.«
  • »Die So­zi­al­sys­te­me müs­sen re­for­miert wer­den, um den An­reiz zur Ar­beits­auf­nah­me und die Ge­le­gen­hei­ten wie auch die Ver­ant­wor­tung da­für zu er­hö­hen so­wie die Funk­ti­ons­wei­se des Ar­beits­markts all­ge­mein zu ver­bes­sern. […] (es) muss auf der Leis­tungs­sei­te ei­ne sorg­fäl­ti­ge An­pas­sung der Leis­tungs­be­zugs­kri­te­ri­en und der Ver­pflich­tun­gen zur Stel­len­su­che und Aus­bil­dungs­be­reit­schaft vor­ge­se­hen und in man­chen Fäl­len die Dau­er der So­zi­al­leis­tungs­ge­wäh­rung über­prüft wer­den.«

­Der­ar­ti­ge Ver­ab­re­dun­gen auf EU-Ebe­ne lei­te­ten in Eu­ro­pa ge­setz­li­che Maß­nah­men des So­zi­al­ab­baus ein. In der Bun­des­re­pu­blik stell­te Bun­des­kanz­ler Schrö­der im März 2003 die Agen­da 2010 vor. Es folg­ten neue So­zi­al­ge­setz­bü­cher, Hartz IV, Nied­rig­lohn­be­rei­che, Leih­ar­beit und Werk­ver­trä­ge.

Schen­gen II

­Mit Schen­gen II wur­den im Jahr 1995 zwar Per­so­nen­kon­trol­len an den in­ner­eu­ro­päi­schen Gren­zen ab­ge­schafft – was ge­mein­hin mit »Frei­zü­gig­keit« ver­wech­selt wird -, vor al­lem aber ein In­for­ma­ti­ons­sys­tem für die Si­cher­heits­be­hör­den der Schen­gen-Län­der zwecks au­to­ma­ti­sier­ter Per­so­nen- und Sach­fahn­dung in der EU ein­ge­führt. Die­ses In­for­ma­ti­ons­sys­tem er­fasst Licht­bil­der, Fin­ger­ab­drü­cke und wahr­schein­lich auch DNA-Merk­ma­le. Am 27. Mai 2005 wur­de Schen­gen III ali­as Prü­mer Ver­trag ab­ge­schlos­sen. Das Ab­kom­men hat die amt­li­che Be­zeich­nung »Ver­trag über die Ver­tie­fung der grenz­über­schrei­ten­den Zu­sam­men­ar­beit, ins­be­son­de­re zur Be­kämp­fung des Ter­ro­ris­mus, der grenz­über­schrei­ten­den Kri­mi­na­li­tät und der il­le­ga­len Mi­gra­ti­on.«

Ei­ne eu­ro­päi­sche Ka­ta­stro­phe

Am 24. März 1999 be­gann ei­ne eu­ro­päi­sche Ka­ta­stro­phe. Es ist dar­an zu er­in­nern, dass die Grün­dung der EU von Frie­dens­rhe­to­rik be­glei­tet war. Aber an die­sem Mitt­woch, abends um 20.00 Uhr be­gann die Bom­bar­die­rung Ju­go­sla­wi­ens. Bun­des­kanz­ler Schrö­ders sag­te:

»Lie­be Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger, heu­te Abend hat die NA­TO mit Luft­schlä­gen ge­gen mi­li­tä­ri­sche Zie­le in Ju­go­sla­wi­en be­gon­nen. Da­mit will das Bünd­nis wei­te­re schwe­re und sys­te­ma­ti­sche Ver­let­zun­gen der Men­schen­rech­te un­ter­bin­den und ei­ne hu­ma­ni­tä­re Ka­ta­stro­phe im Ko­so­vo ver­hin­dern. Der ju­go­sla­wi­sche Prä­si­dent Mi­lo­se­vic führt dort ei­nen er­bar­mungs­lo­sen Krieg. Wir füh­ren kei­nen Krieg, aber wir sind auf­ge­ru­fen ei­ne fried­li­che Lö­sung im Ko­so­vo auch mit mi­li­tä­ri­schen Mit­teln durch­zu­set­zen.«

Fast 10 Jah­re lang war un­ter der Füh­rung der Bun­des­re­gie­rung das so­zia­lis­ti­sche Ju­go­sla­wi­en zer­legt wor­den. Jetzt soll­te das Werk mi­li­tä­risch voll­endet wer­den. Im Ju­ni war die Bom­bar­die­rung be­en­det, ein gro­ßer Teil der in­dus­tri­el­len Wirt­schafts­ba­sis, bei­spiels­wei­se das Au­to­werk Zas­ta­va in Kra­gu­je­vac, zer­stört.

­Seit dem 1. Ja­nu­ar 2002 ver­fü­gen wir über den Eu­ro in der Ge­stalt von Bar­geld.

­Nach den Ko­pen­ha­ge­ner Be­din­gun­gen vom Ju­ni 1993, dar­un­ter fällt selbst­ver­ständ­lich ei­ne funk­ti­ons­fä­hi­ge und wett­be­werbstaug­li­che Markt­wirt­schaft, ak­zep­tier­te die EU wei­te­re Bei­trit­te, na­ment­lich von ost­eu­ro­päi­schen Staa­ten. Es ging dar­um, den Ein­fluss­be­reich aus­zu­deh­nen und zu­gleich den gro­ßen west­eu­ro­päi­schen Kon­zer­nen ex­klu­si­ve In­ves­ti­ti­ons- und Ab­satz­märk­te zu er­schlie­ßen. Den Kan­di­da­ten­län­dern wur­de ein um­fas­sen­der neo­li­be­ra­ler Um­bau des Wirt­schafts­sys­tems zur Be­din­gung für ei­ne Auf­nah­me in die EU ge­macht. Es ging da­bei um die Pri­va­ti­sie­rung staats­ei­ge­ner Be­trie­be so­wie den Ab­bau von Zoll und Han­dels­schran­ken. Am 1. Mai 2004 tra­ten die Staa­ten Est­land, Lett­land, Li­tau­en, Po­len, Tsche­chi­en, Slo­wa­kei, Un­garn, Slo­we­ni­en, Mal­ta und Zy­pern der Eu­ro­päi­schen Uni­on bei. Die­se Län­der sind der über­mäch­ti­gen west­eu­ro­päi­schen Kon­kur­renz schutz­los aus­ge­lie­fert und ver­ar­men.

Ei­ne Ver­fas­sung für Eu­ro­pa

We­nig spä­ter soll­te der Ver­trag über ei­ne Ver­fas­sung für Eu­ro­pa die bis da­hin gül­ti­gen Grund­la­gen­ver­trä­ge ab­lö­sen. Am 29. Ok­to­ber 2004 wur­de er in Rom fei­er­lich von den Staats- und Re­gie­rungs­chefs der EU-Mit­glied­staa­ten un­ter­zeich­net und hät­te ur­sprüng­lich am 1. No­vem­ber 2006 in Kraft tre­ten sol­len. Aber am 29. Mai 2005 lehn­ten ihn die Fran­zo­sen mit ei­ner Mehr­heit von 54,7% bei ei­ner Be­tei­li­gung von 69,3% am Re­fe­ren­dum ab. Drei Ta­ge spä­ter, am 1. Ju­ni 2005 wies ihn auch die Mehr­heit der Nie­der­län­der (61,6% bei ei­ner Wahl­be­tei­li­gung von 62,8%) zu­rück. Be­män­gelt wur­de die un­zu­läng­li­che so­zia­le Aus­rich­tung des Ver­trags und der Grund­satz der »of­fe­nen Markt­wirt­schaft mit frei­em Wett­be­werb«. Wirt­schafts­po­li­tik und Wirt­schafts­wachs­tum hät­ten den Rang von Ver­fas­sungs­zie­len er­hal­ten, wäh­rend die So­zi­al­po­li­tik kaum be­rück­sich­tigt wer­de. Der Ver­trag blieb hin­ter den Grund­rechts­nor­men na­tio­na­ler Ver­fas­sun­gen zu­rück, von der So­zi­al­pflich­tig­keit des Ei­gen­tums, die der Ar­ti­kel 14, 2 des GG ein­for­dert, war er weit ent­fernt.

Dass sol­che Ein­wän­de be­grün­det wa­ren, zeig­te der Ver­such der EU, zum Zweck der Li­be­ra­li­sie­rung der Ha­fen­diens­te die Richt­li­nie Port Pa­cka­ge II durch­zu­set­zen.

­Sie ist im Ja­nu­ar 2006 am Wi­der­stand der Ha­fen­ar­bei­ter­ge­werk­schaf­ten ge­schei­tert, wie schon 2003 die Richt­li­nie Port Pa­cka­ge I. Selbst­ver­ständ­lich hin­dert das die EU nicht, im­mer wie­der neue Ver­su­che an­zu­set­zen.

­Schon En­de 2005 konn­te ge­gen die Bol­kestein-Richt­li­nie mo­bi­li­siert wer­den. Am 15. Ok­to­ber gab es ei­nen eu­ro­pa­wei­ten Ak­ti­ons­tag von At­tac und Ge­werk­schaf­ten. Die Richt­li­nie soll­te Dienst­leis­tun­gen li­be­ra­li­sie­ren und ei­ne Spi­ra­le von Lohn- und So­zi­al­dum­ping in Gang set­zen. Sie wur­de an­ge­sichts der Pro­tes­te im No­vem­ber 2006 nur noch in ab­ge­mil­der­ter Form be­schlos­sen. Das Her­kunfts­land­prin­zip wur­de in­des nur ein­ge­schränkt, aber nicht ab­ge­schafft und in na­tio­na­les Recht bis En­de 2009 über­setzt.

»Was­ser ist Men­schen­recht«

In die­sem Jahr, 2013, konn­te mit­tels des Eu­ro­päi­schen Bür­ger­ent­scheid »Was­ser ist Men­schen­recht« die eu­ro­päi­sche Richt­li­nie ver­hin­dert wer­den, die die Pri­va­ti­sie­rung der kom­mu­na­len Was­ser­ver­sor­ger mit­tels EU-Recht er­zwin­gen woll­te. Schon nach we­ni­gen Mo­na­ten war die not­wen­di­ge Zahl der Un­ter­schrif­ten er­reicht und im Ju­ni der Aus­schluss des Was­ser­sek­tors von der EU-Kon­zes­si­ons­richt­li­nie zu­ge­si­chert.

­Seit dem 1. De­zem­ber 2009 gel­ten die Re­geln des Lis­sa­bon­ver­trags, in den die bis­he­ri­gen Ver­trä­ge ein­ge­fügt wur­den. Im Art. 42 Abs. 3 wer­den die Mit­glied­staa­ten ver­pflich­tet, »ih­re mi­li­tä­ri­schen Fä­hig­kei­ten schritt­wei­se zu ver­bes­sern«.

To­des­stra­fe durch die Hin­ter­tür

Un­auf­fäl­lig führ­te er die To­des­stra­fe durch die Hin­ter­tür wie­der ein. Mit Be­zug auf die Er­läu­te­run­gen der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on wird sie gar aus­drück­lich er­laubt. (»Ei­ne Tö­tung wird nicht als Ver­let­zung die­ses Ar­ti­kels be­trach­tet, wenn sie durch ei­ne Ge­walt­an­wen­dung ver­ur­sacht wird, die un­be­dingt er­for­der­lich ist, um […] ei­nen Auf­ruhr oder Auf­stand recht­mä­ßig nie­der­zu­schla­gen« – Amts­blatt der Eu­ro­päi­schen Uni­on C 303/18 DE vom 14. De­zem­ber 2007). Be­züg­lich der De­mo­kra­tie bleibt der Lis­sa­bon­ver­trag un­ter­halb der par­la­men­ta­ri­schen Re­geln der bun­des­deut­schen Lan­des­ver­fas­sun­gen und des Grund­ge­set­zes.

­Die EZB ist als EU-Or­gan (Art. 13 EU-Ver­trag) ko­di­fi­ziert. Die wich­tigs­ten Be­stim­mun­gen zu ih­rer Funk­ti­ons­wei­se fin­den sich in Art. 282 ff. AEU-Ver­trag (= Ver­trag über die Ar­beits­wei­se der Eu­ro­päi­schen Uni­on); ih­re Sat­zung ist dem Ver­trag als Pro­to­koll Nr. 4 an­ge­hängt.

  • »(1) Die Eu­ro­päi­sche Zen­tral­bank und die na­tio­na­len Zen­tral­ban­ken bil­den das Eu­ro­päi­sche Sys­tem der Zen­tral­ban­ken (ESZB). Die Eu­ro­päi­sche Zen­tral­bank und die na­tio­na­len Zen­tral­ban­ken der Mit­glied­staa­ten, de­ren Wäh­rung der Eu­ro ist, bil­den das Eu­ro­sys­tem und be­trei­ben die Wäh­rungs­po­li­tik der Uni­on.
  • (2) Das ESZB wird von den Be­schluss­or­ga­nen der Eu­ro­päi­schen Zen­tral­bank ge­lei­tet. Sein vor­ran­gi­ges Ziel ist es, die Preis­sta­bi­li­tät zu ge­währ­leis­ten. Un­be­scha­det die­ses Zie­les un­ter­stützt es die all­ge­mei­ne Wirt­schafts­po­li­tik in der Uni­on, um zur Ver­wirk­li­chung ih­rer Zie­le bei­zu­tra­gen.«
  • »Das ESZB han­delt im Ein­klang mit dem Grund­satz ei­ner of­fe­nen Markt­wirt­schaft mit frei­em Wett­be­werb, wo­durch ein ef­fi­zi­en­ter Ein­satz der Res­sour­cen ge­för­dert wird, und hält sich da­bei an die in Ar­ti­kel 119 ge­nann­ten Grund­sät­ze.« (Art. 127 AEU)

­Theo­re­tisch ist die EZB un­ab­hän­gig. Aber was hei­ßt das? Sie er­hält kei­ne Wei­sun­gen aus der Po­li­tik. Sie wird für ih­re Zwe­cke von den Mit­glieds­län­dern fi­nan­zi­ell aus­ge­stat­tet und ent­schei­det selbst über den Ein­satz ih­rer Mit­tel. Nicht al­le Zen­tral­ban­ken sind in öf­fent­li­chem Ei­gen­tum, aber al­le sind im ge­nann­ten Sin­ne frei von öf­fent­li­cher Kon­trol­le. Um­so ab­hän­gi­ger sind sie von pri­va­ten Ban­ken. Die EZB wird von ei­nem Di­rek­to­ri­um ge­führt.

»Der Prä­si­dent, der Vi­ze­prä­si­dent und die wei­te­ren Mit­glie­der des Di­rek­to­ri­ums wer­den vom Eu­ro­päi­schen Rat auf Emp­feh­lung des Ra­tes, der hier­zu das Eu­ro­päi­sche Par­la­ment und den Rat der Eu­ro­päi­schen Zen­tral­bank an­hört, aus dem Kreis der in Wäh­rungs- oder Bank­fra­gen an­er­kann­ten und er­fah­re­nen Per­sön­lich­kei­ten mit qua­li­fi­zier­ter Mehr­heit aus­ge­wählt und er­nannt.« (Art. 283 AEU)

Prak­tisch be­deu­tet sol­cher­art Un­ab­hän­gig­keit, dass hier Ban­kiers (»in Wäh­rungs- und Bank­fra­gen an­er­kann­te und er­fah­re­ne Per­sön­lich­kei­ten«) un­ab­hän­gig von Wei­sun­gen durch die Po­li­tik über den Kern­be­reich der eu­ro­päi­schen Wirt­schaft im In­ter­es­se, wenn nicht gar im aus­drück­li­chen Auf­trag, pri­va­ter Ban­ken und Geld­in­sti­tu­te ent­schei­den.

Irland: Ab­leh­nung des Re­form­ver­trags

S­trit­tig war, ob für die weit­rei­chen­den Ver­än­de­run­gen der Rechts­sys­te­me in Eu­ro­pa die schlich­te Ra­ti­fi­zie­rung des Lis­sa­bon­ver­trags durch die na­tio­na­len Par­la­men­te aus­rei­che. Das iri­sche Re­fe­ren­dum fand am 12. Ju­ni 2008 statt und führ­te zu ei­ner Ab­leh­nung des Re­form­ver­trags. Folg­lich wur­de für den 2. Ok­to­ber ein zwei­tes Re­fe­ren­dum an­ge­setzt, nach­dem un­ter Be­glei­tung des Brüs­se­ler Bü­ros der Ber­tels­mann Stif­tung ei­ni­ge Son­der­re­ge­lun­gen ver­ein­bart wor­den wa­ren. Das war schlie­ß­lich er­folg­reich. In den an­de­ren Mit­glied­staa­ten stimm­ten je­weils die Par­la­men­te über den Ver­trag ab, wo­bei es auf­grund von Ver­fas­sungs­kla­gen oder po­li­ti­schen Hemm­nis­sen eben­falls zu Ver­zö­ge­run­gen kam.

Norwegen: zwei­mal ab­ge­lehnt

Am 1. Ja­nu­ar 2007 wur­de in Slo­we­ni­en der Eu­ro ein­ge­führt, am 1. Ja­nu­ar 2008 in Mal­ta und im grie­chi­schen Teil Zy­perns, am 1. Ja­nu­ar 2009 in der Slo­wa­kei und am 1. Ja­nu­ar 2011 in Est­land. Seit die­sem Da­tum sind auch Bul­ga­ri­en und Ru­mä­ni­en Mit­glie­der der EU. Seit dem 1. Ju­li 2013 Kroa­ti­en als 28. Mit­glieds­staat. Bei­tritts­kan­di­da­ten sind ge­gen­wär­tig Is­land, Ma­ze­do­ni­en, Mon­te­ne­gro, Ser­bi­en, Tür­kei, Al­ba­ni­en, Bos­ni­en und Her­ze­go­wi­na. Die Nor­we­ge­rin­nen und Nor­we­ger ha­ben den Bei­tritt zwei­mal ab­ge­lehnt, das Bei­tritts­ge­such der Schweiz ruht, das von Ma­rok­ko hat die EU zu­rück­ge­wie­sen.

»Eu­ro­päi­sche Nach­bar­schafts­po­li­tik (ENP)«

Hier wird schon ein an­de­res Pro­blem deut­lich. Of­fen­bar kann die EU mit ih­rer Po­li­tik der Er­wei­te­rung nicht in der bis­he­ri­gen Form wei­ter­ma­chen, oh­ne mas­si­ve Macht­ver­schie­bun­gen zu­un­guns­ten der EU-Gro­ß­mäch­te zu ris­kie­ren. In­fol­ge­des­sen wer­den an­de­re Me­tho­den der Aus­wei­tung der EU-Ein­fluss­sphä­re ge­sucht. Ei­ne da­von ist die »Eu­ro­päi­sche Nach­bar­schafts­po­li­tik (ENP)«. Stra­te­gi­sches Ziel der ENP ist es, ei­nen »Ring sta­bi­ler, be­freun­de­ter Staa­ten« um die EU her­um zu eta­blie­ren. Die ENP rich­tet sich in Ost­eu­ro­pa an die Ukrai­ne, Wei­ß­russ­land und Mol­da­wi­en, im süd­li­chen Kau­ka­sus an Ar­me­ni­en, Aser­bai­dschan und Ge­or­gi­en und in der Mit­tel­meer­re­gi­on an Ma­rok­ko, Al­ge­ri­en, Tu­ne­si­en, Li­by­en, Ägyp­ten, Is­ra­el, die Pa­läs­ti­nen­si­schen Au­to­no­mie­ge­bie­te, Jor­da­ni­en, Li­ba­non und Sy­ri­en. Die da­ma­li­ge EU-Au­ßen­kom­mis­sa­rin Be­ni­ta Fer­re­ro-Wald­ner hat­te schon im März 2003 das Pa­pier »Grö­ße­res Eu­ro­pa« vor­ge­legt und for­mu­liert:

»Mit die­ser Po­li­tik eta­blie­ren wir ei­nen Ring von Freun­den ent­lang der Gren­zen der er­wei­ter­ten EU. Das ist ein geo­stra­te­gi­sches Schlüs­sel­pro­jekt für Eu­ro­pa. Die­se Zo­ne der Sta­bi­li­tät und des Wohl­stan­des soll von Ost­eu­ro­pa über den Kau­ka­sus und den Na­hen Os­ten quer durch den ge­sam­ten Mit­tel­meer­raum rei­chen.«

Im Un­ter­schied zu Ost­eu­ro­pa ist aber kein EU-Be­tritt vor­ge­se­hen. Es wer­den Ab­kom­men mit den in Fra­ge kom­men­den Län­dern ge­schlos­sen. Die­se As­so­zia­ti­ons­ab­kom­men for­mu­lie­ren von EU-Sei­te Er­war­tun­gen an die as­so­zi­ier­ten Län­der, na­ment­lich die Um­set­zung von Stan­dards und Prak­ti­ken und die Auf­ga­be staat­li­cher Sou­ve­rä­ni­tät.

»Im Ge­gen­zug zu nach­ge­wie­se­nen kon­kre­ten Fort­schrit­ten bei der Ver­wirk­li­chung der ge­mein­sa­men Wer­te und der ef­fek­ti­ven Um­set­zung po­li­ti­scher, wirt­schaft­li­cher und in­sti­tu­tio­nel­ler Re­for­men, u.a. bei der An­glei­chung an den Be­sitz­stand, soll­ten die Nach­bar­staa­ten der EU in den Ge­nuss ei­ner en­ge­ren wirt­schaft­li­chen In­te­gra­ti­on mit der EU kom­men.« (Mit­tei­lung der Kom­mis­si­on: Grö­ße­res Eu­ro­pa – Nach­bar­schaft, März 2003)

As­so­zia­ti­ons­ab­kom­men mit Sy­ri­en

In die­sem Sin­ne hat­ten sich Sy­ri­en und die EU vor ge­nau 10 Jah­ren, im De­zem­ber 2003, grund­sätz­lich auf ein As­so­zia­ti­ons­ab­kom­men ver­stän­digt. Dar­in wird die schritt­wei­se Li­be­ra­li­sie­rung des Wa­ren-, Dienst­leis­tungs- und Ka­pi­tal­ver­kehrs ver­langt. (Zi­ta­te in die­sem Ab­satz über Sy­ri­en und das As­so­zia­ti­ons­ab­kom­men stam­men aus der IMI-Stu­die von Jür­gen Wag­ner: »Im­pe­ria­ler Neo­li­be­ra­lis­mus, Sy­ri­en und die Eu­ro­päi­sche Nach­bar­schafts­po­li­tik« De­zem­ber 2012.) In­ner­halb kur­zer Zeit soll ei­ne Frei­han­dels­zo­ne oh­ne jeg­li­che Schutz­maß­nah­men für die je­wei­lig ein­hei­mi­sche Wirt­schaft eta­bliert und Zöl­le ab­ge­schafft wer­den. Schlie­ß­lich wird der sy­ri­schen Re­gie­rung un­ter­sagt, fünf Jah­re nach Ab­schluss der Ver­ein­ba­rung wei­ter staat­li­che Be­trie­be zu sub­ven­tio­nie­ren. Mit die­sen Be­stim­mun­gen wird die sy­ri­sche Fä­hig­keit, die ein­hei­mi­sche In­dus­trie und v.a. die staats­ei­ge­nen Be­trie­be, in de­nen ein Gro­ß­teil der Sy­rer ar­bei­ten, vor der EU-Kon­kur­renz zu schüt­zen, er­heb­lich ein­ge­schränkt.

­Trotz ei­ni­ger Ein­wän­de wur­de das Ab­kom­men von As­sad am En­de des Jah­res 2004 un­ter­zeich­net. Just zum fäl­li­gen Zeit­punkt der Ge­gen­zeich­nung durch die EU, am 14. Fe­bru­ar 2005, wur­de der ehe­ma­li­ge li­ba­ne­si­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent Al-Har­i­ri er­mor­det und Sy­ri­en be­schul­digt, dar­an be­tei­ligt ge­we­sen zu sein. Die EU ver­wei­ger­te nun die Ra­ti­fi­zie­rung. Das war si­cher­lich der Zweck die­ses At­ten­tats, wer auch im­mer die Tä­ter be­auf­tragt hat­te.

A­ber das Ab­kom­men wur­de prak­ti­ziert – auch oh­ne Ra­ti­fi­zie­rung. En­de 2008 nah­men bei­de Sei­ten die Ver­hand­lun­gen wie­der auf, bis sie im Fe­bru­ar 2011 nach dem Aus­bruch der Un­ru­hen, die in den ge­gen­wär­ti­gen Bür­ger­krieg mün­de­ten, von der EU wie­der aus­ge­setzt wur­den.

­Die schlech­te Wirt­schafts­la­ge Sy­ri­ens bei As­sads Amts­an­tritt war selbst­ver­ständ­lich durch den neo­li­be­ra­len Um­bau nebst pe­ri­phe­rer An­bin­dung an die Eu­ro­päi­sche Uni­on nicht bes­ser ge­wor­den. Im Ge­gen­teil. Die Maß­nah­men tra­fen die ärms­ten Be­völ­ke­rungs­schich­ten be­son­ders hart. Die Fol­gen wa­ren und sind so­zi­al und po­li­tisch ver­hee­rend. Das Ge­sund­heits­we­sen wur­de an­geb­lich mo­der­ni­siert. Ein Kern­stück des Pro­gramms be­steht im Ver­such, die bis­her kos­ten­freie Ge­sund­heits­ver­sor­gung fak­tisch ab­zu­schaf­fen:

»Ein in­te­gra­ler Be­stand­teil des Mo­der­ni­sie­rungs­pro­gramms im Ge­sund­heits­sek­tor ist die Ein­füh­rung von Be­nutz­er­ge­büh­ren und Kos­ten für öf­fent­li­che Leis­tun­gen.«

Auch ei­ne Kran­ken­ver­si­che­rung steht auf dem Plan mit vor­aus­seh­ba­ren ka­ta­stro­pha­len Fol­gen für die Qua­li­tät der Ge­sund­heits­ver­sor­gung des är­me­ren Teils der Be­völ­ke­rung.

Das »Miet- und Im­mo­bi­li­en­ge­setz Nr. 6« hat­te zur Fol­ge, dass es »Ver­mie­tern er­leich­tert wur­de, Mie­ter aus Häu­sern mit ehe­mals ge­bun­de­ner Mie­te zur Räu­mung zu zwin­gen.« Ge­ne­rell wur­den durch das »Wett­be­werbs- und An­ti-Mo­no­pol-Ge­setz« von 2008 die meis­ten Be­darfs­gü­ter von der Preis­bin­dung be­freit, auch die Sub­ven­tio­nen des En­er­gie­sek­tors wur­den ein­ge­stellt. Die Ab­schaf­fung von Preis­kon­trol­len führ­te zu ei­nem sprung­haf­ten An­stieg der In­fla­ti­on – ein­schlie­ß­lich stei­gen­der Mie­ten be­lief sie sich auf 17-20% zwi­schen 2006 und 2008 (in den 90er Jah­ren wa­ren es le­dig­lich 5% jähr­lich ge­we­sen). Be­son­ders dras­tisch wirk­te sich die Ab­schaf­fung von Sub­ven­tio­nen für Dün­gerer­satz­stof­fe, Elek­tri­zi­tät, Die­sel und Ben­zin aus.

Gemälde.

­Mit der Ver­ab­schie­dung des 10. Fünf­jahr­plans im Mai 2006 kommt es zu ei­nem ra­di­ka­len Li­be­ra­li­sie­rungs­schub. So lob­te die »Deutsch-Ara­bi­sche In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer« rück­bli­ckend: »Im 10. Fünf­jah­res­plan (2006-2010) wur­de ein um­fas­sen­des Re­form­pro­gramm fest­ge­legt, das die Ein­füh­rung der so­zia­len Markt­wirt­schaft zum Ziel hat. Wich­ti­ge Er­fol­ge – wie die Steu­er­re­form, die Ver­ein­heit­li­chung der Wech­sel­kur­se, die Zu­las­sung pri­va­ter Ban­ken, die Er­rich­tung ei­ner Wert­pa­pier­bör­se, die Sen­kung der Kör­per­schafts­steu­er von 35 auf 28% (14% für Ak­ti­en­ge­sell­schaf­ten) und die Schaf­fung neu­er In­ves­ti­ti­ons­ge­set­ze – wur­den be­reits er­reicht. Ne­ben ei­nem stär­ke­ren Pri­va­ti­sie­rungs­fak­tor im Au­ßen­han­del sind auch ei­ni­ge Maß­nah­men zur För­de­rung von Im­por­ten zu er­ken­nen, wie die zum Teil dras­ti­schen Zoll­sen­kun­gen, durch die die Zöl­le nun wei­test­ge­hend dem ge­for­der­ten Stan­dard der EU-As­so­zia­ti­ons­ab­kom­men ent­spre­chen. […] Mit der Ver­ab­schie­dung der neu­en In­ves­ti­ti­ons­ge­set­ze Nr. 8 und 9 An­fang 2007 wur­de das Wirt­schafts­li­be­ra­li­sie­rungs­ge­setz Nr.10 von 1991 er­setzt. Die In­ves­ti­ti­ons­be­din­gun­gen wur­den da­durch ver­bes­sert und ver­ein­facht. Nun sind zum Bei­spiel ei­ne 100-pro­zen­ti­ge aus­län­di­sche Ei­gen­tü­mer­schaft und der vol­le Ge­winn­trans­fer für aus­län­di­sche In­ves­ti­tio­nen mög­lich.«

­Die­se Li­be­ra­li­sie­rungs­maß­nah­men wur­den selbst­ver­ständ­lich von EU-Sei­te als Er­folg be­wer­tet. Als In­di­ka­tor des Er­folgs gilt das ver­gleichs­wei­se ho­he Wirt­schafts­wachs­tum von jähr­lich 5% im Zeit­raum 2004 bis 2010. Das al­ler­dings lässt sich haupt­säch­lich auf die sei­ner­zeit ex­trem ho­hen Öl­prei­se zu­rück­füh­ren. Die so­zia­len Fol­gen der Maß­nah­men hin­ge­gen sind ka­ta­stro­phal. »Die Öff­nung des sy­ri­schen Mark­tes ha­be höchst ‚schäd­li­che Aus­wir­kun­gen‘ auf das ein­hei­mi­sche Hand­werk, be­stä­tig­te 2011 die In­ter­na­tio­nal Cri­sis Group. Dies tref­fe zum Bei­spiel auf Du­ma zu, ei­nen Vor­ort von Da­mas­kus, in dem zahl­rei­che Hand­wer­ker leb­ten; sie stün­den auf Grund der Li­be­ra­li­sie­rung vor dem Ru­in und hät­ten dem Re­gime des­halb ih­re Loya­li­tät auf­ge­kün­digt.« Of­fi­zi­ell lag die Ar­beits­lo­sen­quo­te im Jahr 2009 bei 8,1%, in­of­fi­zi­el­le Schät­zun­gen gin­gen al­ler­dings von 24,4% aus.

­Der­ar­ti­ge Um­stän­de ent­hül­len ei­ni­ge Hin­ter­grün­de der Kon­flik­te in Sy­ri­en. Die Tür­kei, die USA, Sau­di-Ara­bi­en und Ka­tar müh­ten sich, sie zu mi­li­ta­ri­sie­ren und nach Mög­lich­keit bis zum Re­gime­wech­sel zu es­ka­lie­ren.

­Die EU war und ist nicht vor­dring­lich an ei­nem sol­chen Re­gime­wech­sel in­ter­es­siert, auch nicht Russ­land und Chi­na. In­so­fern hat­ten die welt­wei­ten Frie­dens­kräf­te ei­ne Chan­ce.

In­nen­po­li­ti­scher Streit in der Ukrai­ne

­Für die Ukrai­ne lässt sich al­ler­dings noch nicht das En­de der Aus­ein­an­der­set­zun­gen vor­aus­sa­gen. Zu­nächst ha­ben die Ukrai­ne und die EU am 9. Sep­tem­ber 2008 in Pa­ris ei­ne Ver­ein­ba­rung für ein As­so­zia­ti­ons­ab­kom­men ge­trof­fen. Seit­dem ist es nicht mehr aus dem in­nen­po­li­ti­schen Streit in der Ukrai­ne her­aus­ge­kom­men. Der Streit macht sich an kul­tu­rel­len, öko­no­mi­schen und po­li­ti­schen Ge­gen­sät­zen fest, de­ren Wur­zeln weit ins ver­gan­ge­ne Jahr­hun­dert rei­chen. Be­kannt­lich wur­de die West­ukrai­ne 1918 zum öst­li­chen Teil des wie­der­er­stan­de­nen Po­lens, das zwei­hun­dert Jah­re nicht exis­tiert hat­te, und kam in der Fol­ge des deutsch-so­wje­ti­schen Nicht­an­griffs­pak­tes 1939 wie­der zur UdSSR. Der öst­li­che und süd­li­che Teil der Ukrai­ne ist aus his­to­ri­schen, kul­tu­rel­len und sprach­li­chen, vor al­lem aber wirt­schaft­li­chen Grün­den mehr mit Russ­land ver­bun­den. Das ist der Hin­ter­grund für den Kon­flikt, den wir ge­gen­wär­tig in der Ukrai­ne wahr­neh­men und in dem die EU, na­ment­lich in Ge­stalt der Bun­des­re­gie­rung nach Kräf­ten Ein­fluss nimmt.

­Die ukrai­ni­sche Re­gie­rung be­schloss am 21. No­vem­ber 2013 das »Ein­frie­ren« des Ab­kom­mens mit der EU. Laut ei­nem De­kret wur­de die »Sus­pen­die­rung des Vor­be­rei­tungs­pro­zes­ses« an­ge­ord­net, um die »na­tio­na­len Si­cher­heits­in­ter­es­sen zu wah­ren und die wirt­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen zu Russ­land zu be­le­ben und den in­ne­ren Markt auf Be­zie­hun­gen auf glei­cher Au­gen­hö­he mit der EU vor­zu­be­rei­ten«. Die Geg­ner der Re­gie­rung we­deln mit EU-Fah­nen und ver­ken­nen die Aus­te­ri­täts­fol­gen der Po­li­tik, die ih­nen von der EU an­ge­bo­ten wird. Es ist be­schä­mend, wie un­ver­hoh­len Wes­ter­wel­le Droh­ku­lis­sen auf­baut und wirt­schaft­li­chen Druck aus­übt. Laut FAZ sag­te er am Don­ners­tag beim Tref­fen der Au­ßen­mi­nis­ter der OSZE in Kiew, »das Auf­bau­en von Droh­ku­lis­sen und das Aus­üben wirt­schaft­li­chen Drucks« auf die Ukrai­ne sei­en »schlicht in­ak­zep­ta­bel«. Und zeig­te mit dem Fin­ger auf Russ­land.

Lie­be Ge­nos­sin­nen und Ge­nos­sen,

­man kann nicht über die EU re­den, oh­ne das ge­gen­wär­ti­ge Kri­sen­ma­nage­ment zu be­wer­ten. Was kenn­zeich­net die Aus­for­mung der Kri­se in der EU? Vor dem Hin­ter­grund der Über­pro­duk­ti­ons­kri­se nut­zen ei­ni­ge Ban­ken und Kon­zer­ne den recht­li­chen Rah­men der EU, um sich öko­no­misch ge­gen die in­ne­re wie ge­gen die glo­ba­le Kon­kur­renz durch­zu­set­zen. Die Ein­heits­wäh­rung Eu­ro hat­te den ex­por­tie­ren­den Kon­zer­nen Pla­nungs­si­cher­heit ge­ge­ben, aber den Han­dels­part­nern die zu­vor be­ste­hen­de Mög­lich­keit, Un­gleich­ge­wich­te durch Ab­wer­tun­gen aus­zu­glei­chen, ge­nom­men. Un­aus­ge­gli­che­ne Han­dels­bi­lan­zen wur­den mit Kre­di­ten ab­ge­fe­dert, so­lan­ge die Ban­ken da­mit nicht über­for­dert wa­ren. Staat­li­che Mit­tel glei­chen pri­va­te Ri­si­ken aus. Ihr wer­det Euch er­in­nern, wie am 10. Mai 2010 an­ge­sichts der La­ge in Grie­chen­land der EZB-Rat den Kauf von Staats­an­lei­hen über­schul­de­ter Eu­ro-Län­der be­schlos­sen hat­te. Da­mit hat­te die EZB mit dem Ar­gu­ment, es gel­te die Ge­mein­schafts­wäh­rung zu er­hal­ten, erst­mals in ih­rer Ge­schich­te prak­tisch die Geld­druck­ma­schi­ne an­ge­wor­fen.

Das ist in­des durch den Ar­ti­kel 123 AEU aus­drück­lich aus­ge­schlos­sen:

»(1) Über­zie­hungs- oder an­de­re Kre­dit­fa­zi­li­tä­ten bei der Eu­ro­päi­schen Zen­tral­bank oder den Zen­tral­ban­ken der Mit­glied­staa­ten […] für Or­ga­ne, Ein­rich­tun­gen oder sons­ti­ge Stel­len der Uni­on, Zen­tral­re­gie­run­gen, re­gio­na­le oder lo­ka­le Ge­biets­kör­per­schaf­ten oder an­de­re öf­fent­lich-recht­li­che Kör­per­schaf­ten, sons­ti­ge Ein­rich­tun­gen des öf­fent­li­chen Rechts oder öf­fent­li­che Un­ter­neh­men der Mit­glied­staa­ten sind eben­so ver­bo­ten wie der un­mit­tel­ba­re Er­werb von Schuld­ti­teln von die­sen durch die Eu­ro­päi­sche Zen­tral­bank oder die na­tio­na­len Zen­tral­ban­ken.«

In der Fol­ge kauf­te die EZB für mehr als 200 Mil­li­ar­den Eu­ro Pa­pie­re von Grie­chen­land, Ir­land und Por­tu­gal. Ein Jahr spä­ter, im Au­gust 2011 wer­den auch Spa­ni­en und Ita­li­en be­dient. Ma­rio Draghi, seit 1. No­vem­ber 2011 EZB-Prä­si­dent, kün­digt im Au­gust 2012 an­ge­sichts der es­ka­lie­ren­den Kri­se ein neu­es An­lei­hen-Kauf­pro­gramm an. Er nennt es Ou­t­right Mo­ne­ta­ry Tran­sac­tions (OMT). Die­se Trans­ak­tio­nen sind an Be­din­gun­gen ge­knüpft. Ein Land, das in den Ge­nuss der Hil­fe durch die No­ten­pres­se kom­men möch­te, muss un­ter den per­ma­nen­ten Eu­ro-Ret­tungs­schirm ESM schlüp­fen. Im Ge­gen­zug er­klärt sich die EZB be­reit, theo­re­tisch un­be­grenzt Staats­an­lei­hen zu kau­fen.

Wel­che Auf­ga­ben hat der ESM?

Der Mi­nis­ter­rat trifft nach Ar­ti­kel 136 AEU Maß­nah­men, um die Haus­halts­dis­zi­plin der Mit­glieds­staa­ten und ih­re Wirt­schafts­po­li­tik zu über­wa­chen. Der Ar­ti­kel wur­de um den fol­gen­den Ab­satz er­wei­tert.

»Die Mit­glied­staa­ten, de­ren Wäh­rung der Eu­ro ist, kön­nen ei­nen Sta­bi­li­täts­me­cha­nis­mus ein­rich­ten, der ak­ti­viert wird, wenn dies un­ab­ding­bar ist, um die Sta­bi­li­tät des Eu­ro-Wäh­rungs­ge­biets ins­ge­samt zu wah­ren. Die Ge­wäh­rung al­ler er­for­der­li­chen Fi­nanz­hil­fen im Rah­men des Me­cha­nis­mus wird stren­gen Auf­la­gen un­ter­lie­gen.«

­Der ESM ist mit ei­nem Etat von 700 Mil­li­ar­den Eu­ro aus­ge­stat­tet und soll die Zah­lungs­un­fä­hig­keit von Mit­glied­staa­ten ver­hin­dern. Sie müs­sen da­bei wirt­schafts­po­li­ti­sche Auf­la­gen er­fül­len. Ar­ti­kel 34 des ESM-Ver­trags be­stimmt:

»Die Mit­glie­der und frü­he­ren Mit­glie­der des Gou­ver­neurs­rats und des Di­rek­to­ri­ums so­wie al­le an­de­ren Per­so­nen, die für den ESM oder in Zu­sam­men­hang da­mit tä­tig sind oder tä­tig wa­ren, ge­ben kei­ne der be­ruf­li­chen Schwei­ge­pflicht un­ter­lie­gen­den In­for­ma­tio­nen wei­ter.«

Ar­ti­kel 35:

»Im In­ter­es­se des ESM ge­nie­ßen der Vor­sit­zen­de des Gou­ver­neurs­rats, die Mit­glie­der des Gou­ver­neurs­rats, die stell­ver­tre­ten­den Mit­glie­der des Gou­ver­neurs­rats, die Mit­glie­der des Di­rek­to­ri­ums, die stell­ver­tre­ten­den Mit­glie­der des Di­rek­to­ri­ums so­wie der Ge­schäfts­füh­ren­de Di­rek­tor und die an­de­ren Be­diens­te­ten des ESM Im­mu­ni­tät von der Ge­richts­bar­keit hin­sicht­lich ih­rer in amt­li­cher Ei­gen­schaft vor­ge­nom­me­nen Hand­lun­gen und Un­ver­letz­lich­keit hin­sicht­lich ih­rer amt­li­chen Schrift­stü­cke und Un­ter­la­gen.«

Die Funk­tio­nä­re des ESM ver­schie­ben folg­lich ih­re Mil­li­ar­den­sum­men ge­heim, oh­ne sich je da­für ge­richt­lich ver­ant­wor­ten zu müs­sen. Die ka­pi­ta­lis­ti­sche Will­kür ist kaum tref­fen­der auf den Be­griff zu brin­gen.

Fis­kal­pakt

­Die oben ge­nann­ten stren­gen Auf­la­gen wur­den im Fis­kal­pakt nor­miert. Der Fis­kal­pakt be­zieht sich auf den »Ver­trag über Sta­bi­li­tät, Ko­or­di­nie­rung und Steue­rung in der Wirt­schafts- und Wäh­rungs­uni­on« (SKS-Ver­trag), ist in Brüs­sel am 2. März ver­gan­ge­nen Jah­res ver­ein­bart und qua Ge­setz am 29. Ju­ni 2012 von Bun­des­tag und Bun­des­rat ver­ab­schie­det wor­den. ESM wie Fis­kal­pakt sind durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt am 13. Sep­tem­ber 2012 ab­ge­seg­net. Seit dem 27. Sep­tem­ber 2012 ist der ESM, seit 1. Ja­nu­ar der Fis­kal­pakt in Kraft. Er ver­pflich­tet die Ver­trags­par­tei­en zu ei­nem aus­ge­gli­che­nen Haus­halt im Sin­ne der Maas­tricht­kri­te­ri­en. Bei ei­nem Schul­den­stand von über 60 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts müs­sen Schul­den, die die­sen Wert über­stei­gen, pro Jahr um ein Zwan­zigs­tel ver­rin­gert wer­den. Es wird ein Kor­rek­tur­me­cha­nis­mus vor­ge­se­hen, der bei Säum­nis­sen au­to­ma­tisch aus­ge­löst wird.

B­ru­ta­le Aus­te­ri­täts­pro­gram­me sor­gen ge­gen­wär­tig schon für gro­ße Ar­mut in Grie­chen­land, Spa­ni­en und Por­tu­gal, für ei­ne Ju­gend­ar­beits­lo­sig­keit von über 50 Pro­zent in die­sen Län­dern, für die Zer­le­gung des Ge­sund­heits­we­sens, des Bil­dungs­we­sens, der ge­sam­ten In­fra­struk­tur. In die­sen Län­dern wird ge­probt, was uns blüht, wenn die Schul­den­brem­sen an­ge­zo­gen wer­den.

­Die 470 000 Mit­glie­der der SPD sind jetzt auf­ge­ru­fen, dem Ko­ali­ti­ons­ver­trag zu­zu­stim­men. Zum The­ma Fi­nan­zen hei­ßt es dort ganz of­fen und bru­tal:

»Die ge­samt­staat­li­chen Ver­pflich­tun­gen aus dem Eu­ro­päi­schen Fis­kal­pakt sind ein­zu­hal­ten. Die Sta­bi­li­täts­kri­te­ri­en für De­fi­zit- und Schul­den­quo­te nach dem ver­schärf­ten eu­ro­päi­schen Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pakt sind ein­zu­hal­ten. Der Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pakt ver­langt ei­ne kon­se­quen­te Rück­füh­rung der ge­samt­staat­li­chen Schul­den­stands­quo­te auf un­ter 60 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP). Wir wol­len die Quo­te in­ner­halb von zehn Jah­ren von 81 Pro­zent (En­de 2012) auf we­ni­ger als 60 Pro­zent zu­rück­füh­ren. Bis En­de 2017 stre­ben wir ei­ne Ab­sen­kung der Quo­te auf un­ter 70 Pro­zent des BIP an.«

Dem­ge­gen­über ste­hen al­le so­zia­len Zu­ge­ständ­nis­se im Ver­trag un­ter fi­nan­zi­el­lem Vor­be­halt.

Wenn es uns ge­lingt, statt der Um­set­zung der Schul­den­brem­sen den Schul­den­schnitt zu Las­ten der pri­va­ten Ban­ken po­pu­lär zu ma­chen, wä­re das schon ein Schritt auf dem Weg zu ei­ner Wen­de zu de­mo­kra­ti­schem und so­zia­lem Fort­schritt in Eu­ro­pa.

Lie­be Ge­nos­sin­nen und Ge­nos­sen,

­Fron­tex ist seit dem 26. Ok­to­ber 2004 die für den Schutz der EU-Au­ßen­gren­zen zu­stän­di­ge Be­hör­de. Der Schen­ge­ner Grenz­ko­dex vom 15. März 2006 sieht vor, dass kei­ne Grenz­kon­trol­len in Be­zug auf Per­so­nen statt­fin­den, die die Bin­nen­gren­zen zwi­schen den Mit­glied­staa­ten der Eu­ro­päi­schen Uni­on über­schrei­ten, und legt Re­geln fest für die Grenz­kon­trol­len in Be­zug auf Per­so­nen, die die Au­ßen­gren­zen der Mit­glied­staa­ten der Eu­ro­päi­schen Uni­on über­schrei­ten.

­Nach An­ga­ben von Pro Asyl sind in den 20 Jah­ren bis 2008 ca. 8100 Men­schen an den EU-Au­ßen­gren­zen ums Le­ben ge­kom­men, al­lein 2007 et­wa 2000. Es gibt fünf­stel­li­ge Schät­zun­gen bis heu­te. Selbst­ver­ständ­lich ist es rechts­wid­rig, Flücht­lin­ge der ho­hen See zu über­las­sen, sie in Dritt­staa­ten ab­zu­drän­gen oder zu­rück­zu­füh­ren. So hat es 2012 auch der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te ent­schie­den. Aber ge­nau das tut Fron­tex, das tut Eu­ro­sur, das ist ihr aus­drück­li­cher Zweck.

Ich hat­te schon in mei­nen Re­fe­rat auf der au­ßer­or­dent­li­chen BDK ge­sagt, dass die Flücht­lin­ge letzt­lich dem Hun­ger ent­flie­hen. Der in­des wird be­wusst or­ga­ni­siert. Am Don­ners­tag (5.12.13) las ich in der FAZ über die WTO-Kon­fe­renz in Ba­li:

»Der Kon­flikt zwi­schen In­di­en und den In­dus­trie­län­dern über Le­bens­mit­tel­hil­fen hat sich in den Be­ra­tun­gen der 159 Mit­glied­staa­ten der Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on (WTO) auf der in­do­ne­si­schen In­sel Ba­li zu ei­nem of­fe­nen Streit aus­ge­wei­tet. Im Kern geht es dar­um, ob In­di­en und ei­ne Grup­pe von 46 Ent­wick­lungs­län­dern staat­lich auf­ge­kauf­tes Ge­trei­de stark ver­bil­ligt an die Ar­men in ih­ren Län­dern ab­ge­ben dür­fen. Die Geg­ner un­ter Füh­rung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten se­hen ei­ne un­be­fris­te­te Aus­nah­me­re­ge­lung als ei­ne Sub­ven­ti­on, wel­che die Re­geln der WTO spren­ge.«

­Für die EU war de­ren Han­dels­kom­mis­sar Karl de Gucht in Ba­li und fürch­te­te um den Er­folg der Kon­fe­renz. Er sag­te:

»Die Sturm­wol­ken ei­nes Schei­terns hän­gen di­rekt über uns.«

In Deutsch­land äu­ßer­te sich der Bun­des­ver­band der Deut­schen In­dus­trie be­sorgt.

»Auch die letz­ten Blo­ckie­rer soll­ten das Ge­samt­in­ter­es­se ih­rer Län­der im Au­ge be­hal­ten und sich ei­nen Ruck ge­ben«, for­der­te für die Ver­bands­spit­ze de­ren Mit­glied Ste­fan Mair. »Die Vor­schlä­ge für die Mi­nis­ter­kon­fe­renz, das so­ge­nann­te Ba­li-Pa­ket, um­fas­sen ne­ben dem Ab­bau von Agrar­sub­ven­tio­nen noch die Ver­ein­fa­chung von Zoll­for­ma­li­tä­ten so­wie er­leich­ter­te Ex­port­mög­lich­kei­ten…«

und dann setzt die FAZ fort: »für be­son­ders ar­me Ent­wick­lungs­län­der« – oh, ja, dar­um ma­chen sich BDI und EU Sor­gen!? FAZ:

»Der Wi­der­stand ge­gen In­di­en rührt auch aus der Be­fürch­tung, dass an­de­re Län­der aus dem Sub­kon­ti­nent her­aus mit bil­li­gen Le­bens­mit­teln über­schwemmt wer­den könn­ten.«

Mit bil­li­gen Le­bens­mit­teln über­schwemmt! Nicht im­mer ist die­se Zei­tung so deut­lich. Auf den Wirt­schafts­sei­ten kann sie es schon mal sein.

Al­ter­na­ti­ven

Nun zu den Al­ter­na­ti­ven, für die die DKP steht, bzw. in Be­we­gung kom­men soll. Der vom Parteivorstand vor­ge­leg­te Ent­wurf ei­nes Wahl­pro­gramms spricht vie­le Pro­ble­me an, ver­mei­det in­des die Ori­en­tie­rung auf au­ßer­par­la­men­ta­ri­sche Ak­tio­nen und Be­we­gun­gen. Ha­ben wir es denn nur mit Op­fern zu tun? Wol­len wir un­se­re Ge­gen­über nicht als po­li­ti­sche Sub­jek­te an­spre­chen, die ih­re An­ge­le­gen­hei­ten selbst in die Hand neh­men kön­nen? Das Wahl­pro­gramm be­schränkt sich auf die Auf­for­de­rung, sich mit ei­nem be­schei­de­nen Nein ge­gen die­se EU zu be­gnü­gen und das Kreuz bei der DKP hin­zu­ma­len. Und dann?

­So geht es mei­nes Er­ach­tens nicht. Mög­li­cher­wei­se ge­nügt die­ser Ent­wurf dem fol­gen­den Satz aus dem Par­tei­pro­gramm:

»Der im­pe­ria­lis­ti­sche Cha­rak­ter der EU-Kon­struk­ti­on macht je­doch die Er­war­tung il­lu­so­risch, die­se Eu­ro­päi­sche Uni­on kön­ne oh­ne ei­nen grund­le­gen­den Um­bruch in ih­ren ge­sell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen zu ei­nem de­mo­kra­ti­schen, zi­vi­len und so­li­da­ri­schen Ge­gen­pol zum US-Im­pe­ria­lis­mus wer­den.«

Aber das Par­tei­pro­gramm er­in­nert auch dar­an, dass

»die wei­te­re Ent­wick­lung der Eu­ro­päi­schen Uni­on da­von ab­hän­gen (wird), in­wie­weit es der ge­werk­schaft­li­chen und po­li­ti­schen Ar­bei­ter­be­we­gung, der glo­ba­li­sie­rungs­kri­ti­schen Be­we­gung, den de­mo­kra­ti­schen Kräf­ten ge­lingt, im ge­mein­sa­men Han­deln die Be­herr­schung der EU-In­sti­tu­tio­nen durch das Mo­no­pol­ka­pi­tal ein­zu­schrän­ken, die­se In­sti­tu­tio­nen zu de­mo­kra­ti­sie­ren und selbst Ein­fluss auf de­ren Ent­schei­dun­gen zu ge­win­nen.«

Die­se stra­te­gi­sche Ori­en­tie­rung hat bei der Ent­schei­dung über un­se­re Be­tei­li­gung an den EU-Wah­len of­fen­kun­dig kaum ei­ne Rol­le ge­spielt.

De­mo­kra­ti­sche und so­zia­le Be­we­gun­gen in Eu­ro­pa

Aber im Wahl­pro­gramm wä­ren mei­nes Er­ach­tens da­zu ei­ni­ge Hin­wei­se fäl­lig. Ge­eig­net wä­ren For­de­run­gen, die an vor­han­de­ne de­mo­kra­ti­sche und so­zia­le Be­we­gun­gen in Eu­ro­pa an­knüp­fen.

  • Das ist die Ju­gend­be­we­gung ge­gen Bil­dungs­ab­bau, ge­gen Ar­beits­lo­sig­keit und pre­kä­re Be­schäf­ti­gung.
  • Das ist die Be­we­gung für be­zahl­ba­res Woh­nen.
  • Das ist die Be­we­gung für die de­mo­kra­ti­schen und so­zia­len Men­schen­rech­te.
  • Das ist die Frie­dens­be­we­gung ge­gen die Kriegs­ge­fah­ren im Na­hen Os­ten und über­all sonst auf der Welt.
  • Das ist die de­mo­kra­ti­sche Be­we­gung ge­gen die markt­kon­for­me De­mo­kra­tie, ge­gen die Herr­schaft der Ban­ken und Kon­zer­ne.
  • Das ist die so­zia­le Be­we­gung für ei­ne Um­ver­tei­lung von oben nach un­ten.
  • Das ist die öko­lo­gi­sche Be­we­gung ge­gen gen­ma­ni­pu­lier­te Nah­rung, ge­gen die Ver­schmut­zung der Luft, ge­gen Atom­ener­gie.
  • Das ist die Ge­werk­schafts­be­we­gung in Eu­ro­pa, die sich schon jah­re­lang ge­gen So­zi­al­dum­ping, ge­gen Li­be­ra­li­sie­rung und Pri­va­ti­sie­rung kämpft und da­bei Er­fol­ge er­ringt.
  • Das ist die Be­we­gung ge­gen den Lis­sa­bon­ver­trag selbst, ge­gen die Brüs­se­ler Dik­ta­tur der Ban­ken und Kon­zer­ne.
  • Das ist die de­mo­kra­ti­sche Be­we­gung ge­gen elek­tro­ni­sche Über­wa­chung, ge­gen Fa­schis­mus, Frem­den­feind­lich­keit, Ras­sis­mus und Flücht­lings­elend.
  • Das ist die So­li­da­ri­täts­be­we­gung mit dem so­zia­lis­ti­schen Ku­ba, mit dem bo­li­va­ri­schen Ve­ne­zue­la und an­de­ren Völ­kern der Welt, die ge­gen den Im­pe­ria­lis­mus kämp­fen.
  • Das ist die in­ter­na­tio­na­lis­ti­sche Be­we­gung für So­li­da­ri­tät mit dem Volk von Grie­chen­land, Por­tu­gal, an­de­ren Län­dern des Süd­eu­ro­pas, den de­mo­kra­ti­schen Be­we­gun­gen und Par­tei­en dort, mit den kom­mu­nis­ti­schen und Ar­bei­ter­par­tei­en, die nächst­lie­gen­de For­de­run­gen mit dem so­zia­lis­ti­schen Ziel ver­bin­den.

Klaus Stein
Vorsitzender des DKP-Bezirks Rheinland-Westfalen


Europa-Mythos

Göt­ter­va­ter Zeus sieht an ei­nem Le­van­te-Ge­sta­de die Kö­nigs­toch­ter Eu­ro­pa. Er ver­liebt sich und lockt sie in Ge­stalt ei­nes Stiers durch lie­bens­wür­di­ge Zahm­heit an, lässt sich strei­cheln, frisst Blu­men aus ih­rer Hand, bringt sie da­zu, auf sei­nen Rü­cken zu stei­gen und – hopp, hopp ist er auch schon im Meer mit ihr, Kurs Kre­ta. Hier ver­wan­delt er sich zu­rück. Das Paar be­kommt drei Kin­der. Nach­zu­le­sen bei Ovid.