Partei

Krisenstatus, Kriegsgefahr, Rechtstendenzen…

Anmer­kun­gen zum Ent­wurf des Leit­antrags

Kri­sen­sta­tus, Kriegs­ge­fahr, Rechts­ten­den­zen, Fra­gen der Stra­te­gie, die Wis­sen­schaft­lich­keit un­se­rer Welt­an­schau­ung und an­de­re sub­jek­ti­ve Dis­po­si­tio­nen un­se­rer Partei.

Gedränge: Menschen gegen Kögida.

Re­fe­rat vor dem Vor­stand der DKP-Be­zirks­or­ga­ni­sa­ti­on Rhein­land-West­falen

Liebe Genossinnen und Genossen,

es gibt viel politische Bewegung in diesen Tagen. Aktuell kämpfen wir um die Eindämmung autoritärer bis faschistischer Massenbewegungen. Am 26. Oktober konnten sich in Köln 4000 Nazihooligans zusammenrotten, aber die Gegenbewegung ließ nicht lange auf sich warten. Am selben Tag protestierten 1000 Menschen vor dem Bahnhof, auf der anderen Seite, hinter dem Bahnhof tobten die Hooligans.

Für den 2. November regte die SDAJ eine spontane Demonstration an. Es kamen 3000 Menschen. Am 14. Dezember rief ›Arsch huh‹ und 15 000 kamen.

Im Oktober begann Pegida in Dresden, der Zulauf wuchs von Montag zu Montag.

Zunächst nur einige hundert, waren es am 15. Dezember schon 15 000.

Am 22. Dezember 17 500, aber auch 4500 Gegner, nachdem am 8. Dezember schon 9000 Menschen gegen den Pegidäischen Rassismus auf die Straße gegangen waren.

Im Rest der Republik kamen an diesem Tag in vier Städten zu No-Pegida-Demonstrationen insgesamt 17 500 Teilnehmer zusammen (München 12 000, Bonn 2500, Kassel 2000, Würzburg 700).

Am 5. Januar stand es in Dresden 18 000 : 4000. Überall in der Republik entwickelten sich Ableger der Pegida-Bewegung. In Köln konnten an diesem Tag kurzfristig mobilisierte 12 000 Gegendemonstranten 250 Kögida-Anhänger stoppen.

In Münster protestierten 10 000. Insgesamt in der Republik nach einer Statistik, die für Köln gerade mal 5000 gelten lässt, 35 000 Menschen.

Am 12. Januar über 60 000 Gegendemonstranten, ebenso in der nächsten Woche, am 19. Januar.

Am 21. Januar verzichtete Pegida in Dresden, dafür zählte an diesem Tag die Leipziger Polizei in ihrem Überschwang 15 000 Menschen, tatsächlich waren es keine 5000.

Am vergangenen Samstag, 23. Januar, kamen allein in Freiburg 20 000 Gegner zusammen. Am 26. Januar republikweit 35 000.

Am 14. Januar stand es in Köln 7000 zu 120, am 21. Januar 2000 zu 80, am 28. Januar 700 zu Null, weil Kögida den Schnupfen hatte. Jetzt will sich Kögida auf Dügida beschränken.

Aber offenbar ist der Hype vorbei. Ich kann mich mit meinen fast 70 Jahren an keine Bewegung in der Republik erinnern, die sich in kurzer Zeit so hochgeschaukelt hat.

Sicher waren es bislang insgesamt mehr als 200 000 Menschen, die gegen den Rassismus auf die Straße gegangen sind.

Wer auch immer Pegida organisiert hat, mir scheint, dass diese reaktionsschnelle Gegenbewegung ihr deutlich Grenzen gesetzt hat.

Das hat viel Kraft gekostet, war aber nötig.

Andere soziale Bewegungen waren mindestens zwei Monate lang aus der öffentlichen Aufmerksamkeit ausgeblendet. Noch immer droht TTIP, die Bewegung dagegen hatte schon ein entscheidendes Niveau erreicht. Die Aufmerksamkeit für die Ereignisse in der Ukraine, wo Kiew reinen Tisch machen möchte, war ebenfalls schon höher. Wenig beachtet wurden Anschläge auf Flüchtlingsheime in letzter Zeit. Gar nicht mehr im Blick sind die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt. Initiativen gegen Gentrifizierung und die Zwangsräumungen liegen danieder. Von kommunalen Kürzungen redet momentan niemand.

Es ist zu hoffen, dass die laufenden Tarifauseinandersetzungen in der Metall- und Elektroindustrie mehr öffentliche Aufmerksamkeit finden. In der Nacht zum Donnerstag stand Punkt Null Uhr in 15 NRW-Betrieben die Produktion still. Über 3000 Beschäftigte der Nachtschichten zogen vor die Werkstore. In Köln folgten bei Ford allein 1500 Arbeiter dem Warnstreikaufruf der IG Metall. Die IG M will 5,5%, bezahlte Fortbildung und verhindern, dass die Altersteilzeit erschwert wird. Die nächste Verhandlungsrunde ist am 6. Februar.

Auch das Wach- und Sicherheitspersonal an den Flughäfen in Düsseldorf und Köln/Bonn machte Druck: Mit ersten Warnstreiks kämpfen sie für mehr Lohn. Es geht um 1,50 bis 2,50 Euro mehr in der Stunde.

Liebe Genossinnen und Genossen,

was dem Export von Waren schadet, nützt schon mal dem Export von Kapital. Offenbar hat sich in der Schweiz das Finanzkapital durchgesetzt. Es will die gegenwärtige Situation der Euroschwäche, insbesondere nach der Entscheidung der EZB vom 22. Januar, monatlich 60 Mrd. in die Märkte zu pumpen, zum Kapitalexport nutzen. Wir können davon ausgehen, dass der niedrige Kurs des Euro zwar der europäischen Exportindustrie Gewinne verspricht, aber ebenso eine Einladung darstellt, Anteile europäischer Unternehmen zu kaufen. Das erklärt dann wohl auch den Umstand, dass der DAX noch am selben Tag eine Rekordhöhe erreichte. Das Börsengeschehen weist auf umfangreiche Verschiebungen von Eigentum hin. Der Euro war lange nicht mehr so billig, zeitweise stand er bei 1,11 pro Dollar. Die amerikanische Immobilienberatung Cushman & Wakefield war vor dem Anleihekaufprogramm von einem Anstieg der Umsätze auf dem europäischen Immobilienmarkt von 5 bis 10 % in diesem Jahr ausgegangen (siehe FAZ 24. Januar 2015). Am 22. Januar erhöhte sie ihre Erwartungen auf 20 %. Abgesehen von den Blasen, die sich hier ankündigen, deutet das auf eine Verteuerung von Immobilien, auf hohe Gewinnerwartungen, die bei den Mieten durchschlagen, Mieter vertreiben und Zwangsräumungen vermehren.

Wir sind Zeugen einer Zeit, in der sich nicht nur Kriegstreiber mit Friedenskräften messen und Faschisten Demokraten herausfordern. Es werden Sparprogramme gegen soziale Sicherheit, Arbeitsplätze, Bildung durchgesetzt sowie Privatisierungen von öffentlichem Eigentum. Wir beobachten riesige Umverteilungen von Arm zu Reich.

Aber es finden auch weitreichende Umgruppierungen im Finanzkapital statt. Dabei erkennen wir immer nur die Oberfläche. Der Ölpreis stürzt gegenwärtig ab, bringt ganze Länder, nicht nur Russland, ins Schleudern. Große Kapitalgruppen konkurrieren gegeneinander und diese Konkurrenz nimmt immer mal militärische Formen an. Aber die medialen Interpreten dieser Vorgänge deuten sie als Krieg zwischen Kulturen und Religionen.

Die Wirtschaftsaussichten trüben sich ein, eine Rezession droht. Ende des vergangenen Jahres wurde das Ford-Werk in Genk und das Opel-Werk in Bochum geschlossen. 10 000 Arbeitsplätze im belgischen Genk, 3000 in Bochum. Die Beschäftigten von Ford Köln waren froh, dass sie nur von Kurzarbeit betroffen waren.

Nun wird es nach einer Meldung in der KR vom 14. Januar bei Ford Köln im Januar und Februar an jeweils drei Samstagen eine Sonderschicht geben. Pro Schicht entstehen 600 zusätzliche Fahrzeuge. Die steigende Produktionsrate werde bis zu den Werksferien in den Sommermonaten gelten. Damit werden wieder so viele Autos hergestellt wie bis September des vergangenen Jahres. Noch im Oktober und November gab es an neun Tagen Kurzarbeit.

Die Produktionssteigerung sei nicht überraschend, weil traditionell in der ersten Jahreshälfte die Nachfrage in Großbritannien wachse, dem wichtigsten Markt für Ford in Europa. Allerdings ist damit Ford noch nicht in der Gewinnzone. Ford-Werke-Chef Bernhard Mattes will damit den Verlust auf 250 Millionen Dollar senken. Der für 2015 angepeilte Gewinn wird nicht erreicht werden. Denn das Russlandgeschäft ist eingebrochen.

Das Sprinter-Werk von Daimler in Düsseldorf entlässt 650 Mitarbeiter. Wegen Umsatzschwundes bei Spezialgummis für die Autoindustrie hat Lanxess angekündigt, 1000 Mitarbeiter freizusetzen. Bei Karstadt droht eine Entlassungswelle.

Am 6. Januar äußerte sich Matthias Wissmann für den Verband der Automobilindustrie enttäuscht über den Mangel an privater Nachfrage nach Autos.

Erinnert sei daran, dass das Kurzarbeitergeld auch für dieses Jahr von sechs auf zwölf Monate verlängert worden ist. Und NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider hatte sogar dafür plädiert, in Einzelfällen bis zu 18 Monate Kurzarbeitergeld zu zahlen.

Der Zustand der Überakkumulation hält an. Riesige Summen von Geldkapital suchen verzweifelt und vergeblich nach profitablen Anlagemöglichkeiten. Es fehlt an Massenkaufkraft. Kredite werden faul, faule Kredite werden verstaatlicht, Banken vor dem Bankrott bewahrt. Der staatliche Schuldenberg wächst. Im Juli 2014 hatten die 18 Euro-Länder Schulden von knapp über 9 Billionen Euro, das sind 93,9% ihres BIP. Drei Monate vorher waren es noch 92,6%, 150 Milliarden Euro weniger. Die EZB hat jetzt ein weiteres Anleihekaufprogramm von 1,14 Billionen Euro vorgelegt. Sie will überhaupt unbegrenzt Gelder zur Verfügung stellen und Staatsanleihen überschuldeter Staaten ankaufen. Mit der Geldschwemme werden die Zinsen niedrig gehalten. Diese Niedrigzinspolitik indes kann nicht von langer Dauer sein. Denn der Preis des Geldes ist ein wirtschaftliches Regulativ. Er sorgt gemeinhin dafür, dass es sich bei den produktivsten Projekten einer Volkswirtschaft sammelt. Die Verwerfungen spürt nicht nur die Versicherungswirtschaft, die über die Umverteilung mit dem Argument jammert, dass den Leuten die Ersparnisse genommen werden.

Auf der anderen Seite sind die Schuldner dieser Welt an hohen Zinsen nicht interessiert. Das betrifft nicht nur Länder in Europa wie Spanien, Italien, Griechenland und Portugal. Ebenso würde es die hochverschuldeten Städte und Gemeinden treffen. Folglich zittern die Schuldner und mit ihnen ein Teil der Finanzwelt vor dem Ende der Niedrigzinspolitik. Diese Sorge erscheint begründet. Am 30. Oktober hat die FAZ unter der Überschrift »Die FED öffnet ein neues geldpolitisches Kapitel« berichtet, dass der Offenmarktausschuss der amerikanischen Notenbank Federal Reserve am Tag vorher beschlossen habe, die Käufe von Staatsanleihen und von mit Hypotheken besicherten Wertpapieren einzustellen. Mit dem Ende der Anleihekäufe rücke die Zinspolitik stärker in den Vordergrund. Zwar wolle die FED angesichts eines zuversichtlichen Konjunkturausblicks an ihrer Zusage festhalten, den faktischen Nullzins für eine beträchtliche Zeit beizubehalten, aber eine Zinserhöhung könne kommen.

Eine wichtige Voraussetzung fehlt indessen: ein Anspringen der Konjunktur. Das ist nicht in Sicht. Zwar drucken die amerikanischen und europäischen Zentralbankiers das Geld angeblich zu dem Zweck, die Konjunktur wieder ans Laufen zu bringen. Aber das Geld wird gar nicht in die Produktion investiert, weil sich mit der Herstellung von Waren kaum noch etwas verdienen lässt. Weil niemand in reale Produktion investieren will, ist das Geld so billig. Die unendlichen Mengen, die die Zentralbanken davon zur Verfügung stellen, schimmeln ungenutzt vor sich hin. Wertvoll und zinsbringend wird das Geld erst, sogar inflationär womöglich, wenn die Menschen wieder konsumieren, was produziert wird.

Zuvor indes muss die Krise ihren Zweck erfüllen und Kapital entwerten.

Die Niedrigzinspolitik der EZB setzt aber spürbar falsche Anreize, deformiert die Wirtschaft und lässt die Blasen am Finanzmarkt anschwellen. Irgendwann platzen sie.

Seit dem 15. Januar, eine Woche vor dem neuen Kaufprogramm der EZB, wird der Wechselkurs des Franken zum Euro von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) nicht mehr gestützt. Länger als drei Jahre hatte er gehalten. Zweck der Maßnahme war die Unterstützung der Schweizer Exportwirtschaft, sie hatte aber den Nachteil, den Kapitalexport durch die niedrige Bewertung des Franken zu erschweren. Die Kehrtwende der SNB kam überraschend. Es folgten hektische Anlageentscheidungen auf allen Börsen. Der Dax stürzte an diesem Tag innerhalb weniger Minuten um über 300 Punkte auf 9637 Zähler ab, stieg aber am Nachmittag wieder Richtung 10 000 Punkte.

Der Schweizer Gewerkschaften befürchten Devisenspekulationen und in der Folge eine unkontrollierte Aufwertung mit Folgen für die Exportwirtschaft (Industrie/Tourismus). Das Handelsblatt schrieb noch am Tage der Entscheidung: »Die im Laufe der Zeit aufgebauten Spannungen durch die problematische Billiggeld-Politik der Notenbanken könnten sich erdbebenartig entladen. Dieser Donnerstag sei exemplarisch. »Die Auflösung der Wechselkursbindung wirkt wie die Sprengung eines Staudamms«.

Liebe Genossinnen und Genossen, ein sogenannter Stresstest im Herbst vergangenen Jahres sollte uns glauben machen, dass die europäischen Banken krisenfest seien. Tatsächlich aber

lässt der Testbericht gewaltige Risiken erkennen. Weiterhin ist die Gefahr von spontanen Zusammenbrüchen groß.

Die Alternative dazu sind große Kriege oder aber organisierte Kapitalvernichtung in Gestalt von Schuldenschnitten.

Syriza stellt nach der Wahl vom 25. Januar die griechische Regierung. Sie weist die Austeritätspolitik der Troika zurück. Das griechische Volk schöpft Hoffnung, aber auch in Spanien kamen gestern Hunderttausende auf die Straße, weil sie ähnliches durchsetzen wollen. Charakteristisch für Syrizas Politik ist die Forderung nach einem Schuldenschnitt. Der würde aber kaum noch private Gläubiger treffen. Die haben längst ihre Schäfchen ins Trockene gebracht. Denn der größte Teil von Griechenlands Gesamtschuld in Höhe von (Ende September) 322 Mrd. Euro (das sind 175% des BIP) wird von öffentlichen Gläubigern gehalten.

Die deutschen Kosten eines Schuldenschnitts betragen im Falle, dass die griechische Schuldenquote auf 120 % sinken soll, 23 Mrd. Euro, im Falle von 90% sind es 40 Mrd. Bei einem Austritt aus der Euro-Zone, den die KKE verlangt, mit dem aber auch die Bundesregierung kokettiert, beträgt der Verlust 76 Mrd. Euro. Private deutsche Banken sind in Griechenland kaum noch mit Krediten engagiert. Sie haben rund 4,6 Mrd. an Banken und 3,6 Mrd. an Unternehmen und Privatpersonen verliehen. Gegenwärtig zeichnet sich eine Lösung ab, bei der noch nicht einmal von Schuldenschnitt die Rede sein muss. Denn es herrscht die Sorge vor, dass so etwas auf andere Schuldner ausstrahlen könnte. Es wird mittlerweile von der Streckung der Tilgungsfristen gesprochen. Irgendwo habe ich die Jahreszahl 2057 gelesen. Das kommt zwar einem Schuldenschnitt gleich, soll aber nicht so aussehen.

Die anhaltende Krise, die in diesem Zusammenhang vorgenommene Umverteilung von unten nach oben, die sozialen Ängste und die Fehldeutungen bezüglich der Krisenursachen und Krisenfolgen stellen den Hintergrund der Rechtsentwicklung in Europa und in unserem Lande dar. Liebe Genossinnen und Genossen, womöglich haben wir individuelle Meinungen zu den Gründen und Perspektiven der Rechtsentwicklung, aber als Partei haben wir uns damit nur unvollständig theoretisch befasst, geschweige denn, dass wir unsere politischen Taktiken schon anzupassen verstanden hätten.

Von Peter Mertens, dem Vorsitzenden der belgischen PvdA, stammt das Buch mit dem Titel: »Wie können sie es wagen? Der Euro, die Krise und der große Raubzug.« In Belgien ein Bestseller. Ich habe es noch nicht fertig gelesen, bezaubert aber hat mich, dass er von einer Forschungsabteilung seiner Partei und ihren Ergebnissen spricht. Diese Abteilung ist vielleicht nicht groß. Allein die Tatsache ihrer Existenz macht den Unterschied.

Der Leitantrag an den 21. Parteitag scheint insgesamt noch zu wenig geeignet, die Partei auf die veränderten Bedingungen einzustellen. Gegenwärtig beschleunigen sich die Rechtstendenzen – denken wir an Hogesa und Pegida, aber auch an die Montagsmahnwachen einer sogenannten neuen Friedensbewegung. Der AfD stehen sämtliche Medien offen. Die Terroranschläge gegen die linke Karikaturenzeitschrift Charlie Hebdo und einen koscheren Supermarkt in Paris am 7. Januar sind so angelegt, dass sie diese Tendenzen nach dem Muster von Huntingtons »Kampf der Kulturen« verstärken. Es droht eine neue Qualität. Unsere antifaschistische Arbeit steht vor neuen Herausforderungen bezüglich ihrer Analyse, der Mittel und politischen Breite der fälligen Gegenwehr.

Der rechte Terror und die antiislamischen Demonstrationen haben die Funktion, den Abbau von Demokratie zu rechtfertigen, die Akzeptanz von militärischen Maßnahmen zu erhöhen, und sollen uns an große Kriege heranführen.

Liebe Genossinnen und Genossen,

der Leitantrag ist verbesserungsfähig.

Seine Einleitung lässt die Frage offen, ob wir den Zusammenbruch des realen Sozialismus in den Jahren 1989/1990 als den entscheidenden historischen Bruch wahrnehmen oder die Entwicklung des Krisenzyklus seit Anfang der siebziger Jahre samt der Durchsetzung neoliberaler Strategien der Kapitalverwertung. Er begnügt sich mit einer Darstellung von Produktivkräften, so, als wenn sie sich kontinuierlich weiterentwickelt hätten. Entwicklungshemmungen oder -sprünge kommen da nicht vor, keine, die in den Produktionsverhältnissen begründet wären, von Krisen gar nicht zu reden. Haben wir denn schon Verhältnisse, die eine »rasante Entwicklung der Produktivkräfte« fördern? Oder sind wir in einer Phase, in der diese Entwicklung behindert wird? Sind Hunger, wachsende Armut und Massenarbeitslosigkeit, Kriege und Umweltzerstörung der Entwicklung der Produktivkräfte förderlich?

Welche Veränderungen der Klassenstrukturen können wir denn feststellen? Der Text des Leitantrages behauptet zwar deren »enorme« Auswirkungen auf das Bewusstsein, aber wir leisten uns sodann, diese Auswirkungen zu beschweigen.

Schon in der Einleitung wird von Kriegen gesprochen, metaphorisch von Flächenbränden, deren Opfer Flüchtlinge sind. Unvermittelt aber auch von Rassismus und Faschismus.

Von Toten ist nicht die Rede, von der Vernichtung der Lebensgrundlagen der betroffenen Bevölkerung, die diese Fluchten auslöst, auch nicht. Überhaupt zählt die Einleitung einige politische Phänomene ganz unsystematisch, gewissermaßen impressionistisch auf.

Nach der kurzen Einleitung wird eine präzisierte Strategie versprochen und ein gemeinsames Verständnis der Frage, was es heute bedeutet, Mitglied der Kommunistischen Partei zu sein. Statt diese Frage zu beantworten, fordert der Leitantrag den Genossinnen und Genossen Bekenntnisse ab.

Auf die strategischen »Präzisierungen« komme ich noch.

Indessen erhalten wir unter der Überschrift »die Kriegsgefahr wächst« eine gründliche Analyse der gegenwärtigen Situation. Sie steht in deutlichem Kontrast zu den knappen Sätzen, die sich die Mehrheit der Delegierten des letzten Parteitags in den »Antworten der DKP auf die Krise« abgerungen hat und in der absurden Forderung gipfeln: »keinerlei Unterstützung der imperialistischen und Welthegemonie beanspruchenden Politik der USA.«

Aber es sind auch einige kritische Sätze zum häufigen Gebrauch des Wortes Militarismus angebracht. Das Verhältnis von Krieg und Militarismus ist eine Zweck-Mittel-Relation: wer den Krieg will, greift zu Maßnahmen und fördert Einstellungen, die mit Militarismus bezeichnet werden. Wer den Frieden erhalten will, kämpft gegen derartige Maßnahmen und Einstellungen. In der Tat macht sich zunehmend Militarismus in vielen gesellschaftlichen Bereichen breit, ich denke da an die Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) in den Städten und Gemeinden, in Krankenhäusern. Aber der Kampf gegen den Militarismus ist nur eine der Facetten des Kampfes für den Frieden. Es stellt sich die Frage nach weiteren Formen, die wir bislang ebenfalls gepflegt haben. Ich spreche von Völkerverständigung, Städtepartnerschaften, Schulpartnerschaften, Kulturaustausch, internationale Solidaritätsaktionen. Und umgekehrt gibt es Maßnahmen der Herrschenden, die den Krieg befördern, ohne im allgemeinen Sprachgebrauch schon unter die Rubrik Militarismus zu fallen, beispielsweise die Sanktionspolitik gegenüber Russland oder subtil abfällige Sprachregelungen in den Medien.

Im zweiten Kapitel, genannt »die Ausbeutung wächst«, beschreibt der Entwurf des Leitantrags die Versuche des Imperialismus, die Überakkumulationskrise zu überwinden. Präziser hat es Angela Merkel gesagt, als sie forderte, dass Deutschland aus der Krise gestärkt hervorgehen wolle. An dieser Stelle gewönne der Leitantrag an Überzeugungskraft, wenn von der historischen Funktion der Krisen die Rede wäre, von Kapitalvernichtung als Voraussetzung des nächsten Zyklus. Die wird indes durch Kredite immer weiter hinausgeschoben.

Im Kommunistischen Manifest heißt es: »Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.«

Zwar herrscht im Kapitalismus immer das Prinzip der Konkurrenz, aber in der Krise erhöht sich der Druck. Bündnisse und Fronten unterliegen schnellen Wechseln. Und angesichts der ungeheuren Risiken wächst die Bereitschaft, militärische Gewalt einzusetzen, deren Folgen mittlerweile kaum noch zu kalkulieren sind. Die EZB hortet 879 Milliarden uneinbringlicher Kredite, das sind 9% des BIP der gesamten Eurozone.

Als im Jahre 66 v.u.Z. Marcus Tullius Cicero den römischen Senat davon überzeugte, gegen Mithridates, den König von Pontos in Kleinasien, in den Krieg zu ziehen, nannte er als Grund: (»Scimus Romae« – man wisse in Rom, »solutione impedita« – bei eingestellten Zahlungen – »fidem concidisse« sei das Kreditwesen zusammengebrochen, also) von ihren Pfründen durch Mithridates verjagt, konnten Steuerpächter ihre Kredite nicht bedienen, weswegen das Kreditwesen zusammengebrochen sei.

Cicero konnte offen sprechen, die herrschende Klasse war unter sich.

Der US-amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Robert Shiller wurde im vergangenen September vom Handelsblatt zur Lage der Weltwirtschaft befragt. Er sagte: »Wir stecken fest. Die Frage ist: Wie kommen wir da raus?« Frage Handelsblatt: »Und Ihre Antwort?« Shiller: »Die bereitet mir vielleicht die größten Sorgen: Ein Krieg.«

Die Gegenseite kennt also den Zusammenhang von Krieg und kapitalistischer Krise, der in der Debatte zum Thema »100 Jahre Erster Weltkrieg« vergessen gemacht werden sollte. Christopher Clark und Herfried Münkler haben zur Vernebelung der Kriegsursachen ihren Beitrag geleistet. Aber schon die KPD der Weimarer Republik wusste über Verursacher und Nutznießer des Krieges Bescheid, nachdem Rosa Luxemburg lange vorher immer wieder darauf hingewiesen hatte, und sagte das auch. Ihr erinnert Euch an solche Losungen wir »Krieg und Leichen – immer noch Hoffnung der Reichen« auf einer Fotomontage von John Heartfield aus der AIZ vom 27. April 1932, eine andere hieß: »Wollt Ihr wieder fallen, damit die Aktien steigen?« (28. August 1932). Der deutsche Faschismus hatte die Aufgabe, die Kriegsbereitschaft und Kriegsfähigkeit des Deutschen Reiches wieder herzustellen. Es ist ihm gelungen, zwanzig Jahre nach dem Ende des Ersten hat der deutsche Imperialismus den Zweiten Weltkrieg begonnen.

Nun fordert der Leitantragsentwurf von uns die Darstellung des heutigen Zusammenhangs von Kapitalismus/Imperialismus, Krise und Krieg. Da steht:

»Heute, in der imperialistischen Phase des Kapitalismus, ist das Monopolkapital der entscheidende Gegner. Wir erleben wieder und wieder den Zusammenhang zwischen Kapitalismus/Imperialismus, Krise und Krieg. In dieser Situation ist es notwendig, dass sich antimonopolistisches Bewusstsein verbreitet und antimilitaristische und antifaschistische Bewegungen stärker werden. Die DKP wird ihre Kraft auf diese Zielstellung konzentrieren. Für uns sind dies keine nebeneinander stehenden Felder, sondern organisch verbundene Fragen des Kampfes für den gesellschaftlichen Fortschritt gegen die Angriffe der Herrschenden.«

Der genannte Zusammenhang von Krieg und Krise ist von uns nicht »zu erleben«, sondern zu analysieren. Die Ursachen von Krieg, Krise und Faschismus, »organisch verbunden«, werden nur ganz allgemein genannt. Das überzeugt nicht.

In diesem Zusammenhang bleibt unsere Strategie unklar, wenn der Leitantrag die Aufgaben der DKP, in antimilitaristischen, antimonopolistischen und antifaschistischen Kampf dreiteilt.

Dieser Kampf hätte dann wohl den Rang von Taktik, wenn der revolutionäre Bruch mit dem Kapitalismus zur Strategie ernannt wird. Es gilt aber noch das Programm, in dem der Sozialismus das Ziel ist, das wir mit der Strategie des Kampfes um eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt sowie durch antimonopolistische Umwälzungen erreichen wollen, die in die sozialistische Revolution münden. Auch sonst gibt es Abweichungen von unserer Programmatik. Patrik möchte, dass wir uns zum Marxismus-Leninismus bekennen. Wörtlich sagte er auf der 10. PV-Tagung:

»…dazu gehört, dass wir uns klar, eindeutig und unmissverständlich als Partei der Ideen von Marx, Engels und Lenin definieren und uns damit zur wissenschaftlichen Weltanschauung, dem Marxismus-Leninismus bekennen.« Und unter der Überschrift »Rolle und Aufgabe der DKP« wird im Leitantrag von uns als einer marxistisch-leninistischen Partei gesprochen. Auf der Parteiveranstaltung im Rahmen der RLK beanspruchte Patrik gar, wir seien als Partei hundertprozentig marxistisch-leninistisch. Das war etwas weniger scherzhaft gemeint, als es klingt. Unser Sozialismus analog dazu 100% wissenschaftlich? Gewinnt unser Materialismus hohe Punktzahlen auf der nach oben offenen Dialektik-Skala?

Patrik sollte bedenken, dass es nicht nur linke und rechte Abweichungen gibt, sondern auch solche nach unten und oben.

Im Ernst: Was ist der Marxismus-Leninismus?

Bekanntlich lautet die entsprechende Passage im Parteiprogramm: »Die DKP gründet ihre Weltanschauung, Politik und ihr Organisationsverständnis auf den wissenschaftlichen Sozialismus, der von Marx, Engels und Lenin begründet wurde und ständig weiterentwickelt werden muss, damit er nicht hinter den Realitäten zurückbleibt. Sie kämpft für die freie Verbreitung des Marxismus-Leninismus.« Es macht einen Unterschied, ob wir für die freie Verbreitung des Marxismus-Leninismus kämpfen oder uns zu ihm bekennen. Darauf hatte ich schon auf unserer außerordentlichen BDK im Oktober 2013 hingewiesen. Und ich möchte dafür plädieren, dass wir von den Aussagen des Programms nicht abrücken.

Die Genossinnen und Genossen der SED sowie anderer Bruderparteien bis 1989 haben mit dem Begriff Marxismus-Leninismus die philosophischen, ökonomischen und politischen Lehren von Marx, Engels und Lenin verstanden, die den kommunistischen Parteien als Grundlage ihrer Politik dienen: »Die selbst von Marx' Gegnern anerkannte bewundernswerte Folgerichtigkeit und Geschlossenheit seiner Anschauungen, die in ihrer Gesamtheit den modernen Materialismus und den modernen wissenschaftlichen Sozialismus als Theorie und Programm der Arbeiterbewegung in allen zivilisierten Ländern der Welt ergeben,…« (Lenin 21, S. 38). Was Lenin 1918 über die Lehre von Marx schrieb, scheint mir der Kern dessen zu sein, was man unter dem Begriff Marxismus-Leninismus verstehen mochte.

Auch die KPD hatte sich dem Marxismus-Leninismus verpflichtet. In ihrem Statut, beschlossen auf dem Münchner Parteitag im März 1951, hieß es: »Die Stärke der Partei liegt in der Geschlossenheit ihrer Reihen, in der Einheit des Willens und des Handelns. Unvereinbar damit sind Abweichungen von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus und dem Statut der Partei, ebenso wie die Verletzung der Parteidisziplin, die Beteiligung an fraktionellen Gruppierungen und Doppelzünglerei.«

Die DKP indes hat seit ihrer Gründung darauf verzichtet, den Marxismus-Leninismus als ihre Grundlage zu bezeichnen. Ich halte es für möglich, dass wir damit dem KPD-Verbotsurteil Rechnung trugen. Vor allem aber würde dieser Begriff, meine ich, nur unzulänglich den Reichtum unserer Politik und Weltanschauung erfassen. Grundlage des Denken und des Handelns der DKP – auch ihrer Kultur, um mal von ihr zu sprechen – ist der wissenschaftliche Sozialismus und bislang gilt das Wort von den Ideen bzw. der Lehre von Marx, Engels und Lenin.

Der Begriff wissenschaftlicher Sozialismus ist in Abgrenzung zum utopischen entstanden. Engels sagt zu letzterem: »Dem unreifen Stand der kapitalistischen Produktion, der unreifen Klassenlage, entsprachen unreife Theorien. Die Lösung der gesellschaftlichen Aufgaben, die in den unentwickelten ökonomischen Verhältnissen noch verborgen lag, sollte aus dem Kopfe erzeugt werden. Die Gesellschaft bot nur Mißstände; diese zu beseitigen, war Aufgabe der denkenden Vernunft. Es handelte sich darum, ein neues, vollkommneres System der gesellschaftlichen Ordnung zu erfinden und dies der Gesellschaft von außen her, durch Propaganda, womöglich durch das Beispiel von Musterexperimenten aufzuoktroyieren. Diese neuen sozialen Systeme waren von vornherein zur Utopie verdammt; je weiter sie in ihren Einzelheiten ausgearbeitet wurden, desto mehr mussten sie in reine Phantasterei verlaufen.«

Dazu im Gegensatz hat Engels die Politik der Kommunisten als wissenschaftlichen Sozialismus definiert. Denn unser politisches Ziel wie auch unsere Strategien, mit denen wir dieses Ziel durchsetzen wollen, fußen auf einer materialistischen Betrachtung der Geschichte und der Analyse des jeweiligen Entwicklungsstandes von Ökonomie und Gesellschaft sowie der einander gegenüberstehenden Klassenkräfte.

Hegels Dialektik wurde von Marx und Engels »vom Kopf auf die Füße« gestellt. Engels: »Hegel wurde nicht einfach abseits gelegt; man knüpfte im Gegenteil an an seine oben entwickelte revolutionäre Seite, an die dialektische Methode.« Ausgehend von der Prozesseigenschaft der Welt polemisiert Engels an dieser Stelle gegen die Forderung nach endgültigen Lösungen und ewigen Wahrheiten.

Wissenschaftlichkeit erfordert das entsprechende methodische Niveau. Erst so kann unser Handeln durch Kenntnisse fundiert werden, die in Gestalt eines zusammenhängenden Systems von Aussagen, Theorien und Verfahrensweisen gesichert, begründet, geordnet sind, überprüfbar und vermittelbar. Solche methodischen Ansprüche gehen im übrigen auf Descartes zurück, der als einer der Begründer moderner Philosophie und Wissenschaft gelten darf. Aber selbst Descartes hat ironischerweise just in seinem »Discours de la méthode« (»Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung«) ältere Irrtümer zwar korrigieren, aber selbstverständlich einen nur relativen Erkenntnisfortschritt beispielsweise in der Physiologie erzielen können.[*]

Engels: »Man ist sich der notwendigen Beschränktheit aller gewonnenen Erkenntnis stets bewusst, ihrer Bedingtheit durch die Umstände, unter denen sie gewonnen wurden.« (Aus: »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der Klassischen deutschen Philosophie«, geschrieben 1886, MEW 21, 293)

Der Begriff Marxismus-Leninismus scheint insbesondere mit Blick auf seine Entstehungsgeschichte als Bezeichnung für die ideologische Grundlage unserer Partei wenig geeignet. Er diente zunächst als Instrument der innerparteilichen Auseinandersetzung. An die Öffentlichkeit trat Stalin damit erstmalig auf dem XVII. Parteitag der KPdSU. Da heißt es in seinem Schlusswort vom 26. Januar 1934:

»Unsere Aufgaben auf dem Gebiet der ideologisch-politischen Arbeit bestehen darin: […]

die Abweichungen mancher Genossen vom Marxismus-Leninismus nicht zu vertuschen, sondern mutig zu kritisieren.« (Stalin, Werke Band 13, S. 204)

Der Begriff Marxismus-Leninismus ist von Beginn an eng verklammert mit der Polemik gegen seine Abweichungen. Das hatte Folgen. Nur eine Minderheit der Teilnehmer des XVII. Parteitags hat Stalins Repressalien gegen die Abweichler überlebt. Sie richteten sich zunächst gegen die Partei und ihre Funktionäre. Chruschtschow berichtete auf dem XX. Parteitag 1956, dass von den 139 Mitgliedern und Kandidaten des Zentralkomitees, die auf dem XVII. Parteitag gewählt worden waren, 98 Personen, d. h. 70 Prozent, (hauptsächlich in den Jahren 1937/1938) verhaftet und erschossen worden sind. Aber auch die Mehrheit der übrigen Delegierten hat die nächsten vier Jahre nicht überlebt.

Die marxistisch-leninistische Deutung des XVII. Parteitags lautet: »Im Januar 1934 trat der XVII. Parteitag zusammen. Auf dem Parteitag waren 1225 Delegierte mit beschließender und 736 Delegierte mit beratender Stimme anwesend, die 1874488 Parteimitglieder und 935 298 Kandidaten vertraten. Der Parteitag zog die Bilanz der Arbeit der Partei während der verflossenen Periode, wies auf die entscheidenden Erfolge des Sozialismus in allen Zweigen der Wirtschaft und Kultur hin und stellte fest, dass die Generallinie der Partei auf der ganzen Linie gesiegt hatte. Der XVII. Parteitag ging als ›Parteitag der Sieger‹ in die Geschichte ein.« So steht es jedenfalls im »Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU (B)« von 1938 auf Seite 239. Über die tödlichen Folgen für die angeblichen Sieger schweigt sich der »Kurze Lehrgang« aus.

Nachdem Chruschtschows Rede, die er auf dem XX. Parteitag gehalten hatte, bekannt geworden war, teilte der PV der KPD am 2. Juli 1956 den Genossinnen und Genossen in einem Brief mit: »Nach den Berichten der führenden Genossen der KPdSU begannen die ernsten Fehler erst nach dem XVII. Parteitag der KPdSU wirksam zu werden.«

Anlässlich des 65. Jahrestages des Erscheinens des »Kurzen Lehrgangs« zitierte Günter Judick am 14. November 2003 in der UZ aus dem Beschluss des ZK der KPdSU (B) vom 14. November 1938:

»Das Erscheinen des Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (Bolschewiki) ist eines der bedeutsamsten Ereignisse im ideologischen Leben der bolschewistischen Partei. Mit dem Erscheinen des Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU(B) erhielt die Partei eine neue wirksame ideologische Waffe des Bolschewismus, eine Enzyklopädie der grundlegenden Kenntnisse auf dem Gebiete des Marxismus-Leninismus. Der Lehrgang der Geschichte der Partei ist eine wissenschaftliche Geschichte des Bolschewismus. In ihr ist die riesige Erfahrung der kommunistischen Partei dargestellt und verallgemeinert, eine Erfahrung, wie sie keine einzige Partei der Welt je aufzuweisen hatte und hat.«

Es handelt sich um die ersten Sätze des genannten Beschlusses.

Günter Judick kommentierte: »Wahrlich kein geringer Anspruch an ein Buch von gerade einmal 440 Seiten, dessen Autorschaft später Stalin für sich in Anspruch nahm. Mit dem Beschluss wurden alle Parteiorganisationen verpflichtet, die gesamte Bildungsarbeit umzustellen und zur ›Propagierung des Marxismus-Leninismus‹ ein straff organisiertes Studium des genannten Werkes zu sichern. Auch auf besonders eingerichteten Parteischulen und an allen Hochschulen sollte der ›Kurze Lehrgang‹ andere Studienmaterialien ersetzen. […] Der ›Kurze Lehrgang‹ war in der Praxis das genaue Gegenteil der hier verkündeten Absicht. Er war die brutalste, willkürlichste Auslegung und Verfälschung der Geschichte, die jede schöpferische Entwicklung von Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften in der kommunistischen Weltbewegung blockierte und durch Dogmen, durch die verbindliche Festschreibung des durch Stalins Augen gesehenen und mit seinen Methoden praktizierten Partei- und Sozialismusmodells ersetzte.«

Der Kurze Lehrgang stellt die im Jahre 1938 gewissermaßen amtlich definierte Essenz des Marxismus-Leninismus dar. Aber viele Genossen konnten »die grundlegenden Kenntnisse auf dem Gebiete des Marxismus-Leninismus« in Gestalt des Kurzen Lehrgangs nicht mehr zur Kenntnis nehmen, weil sie schon vor dem Zeitpunkt seines Erscheinens der Abweichung für schuldig befunden und verurteilt worden waren.

Liebe Genossinnen und Genossen,

allen unseren bisherigen programmatischen Festlegungen genügte die Festlegung auf die Lehre von Marx, Engels und Lenin. Im Mannheimer Programm von 1978 hieß es: »Politischer Kompass der DKP und wissenschaftliches Fundament ihrer Politik ist die Lehre von Marx, Engels und Lenin. Die DKP wendet diese wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse schöpferisch auf die konkreten Bedingungen der Bundesrepublik an. Sie bekämpft den rechten und ›linken« Opportunismus.«

In der Tat kann eine wissenschaftliche Weltanschauung nur materialistisch sein. Kommunisten untersuchen die gesellschaftlichen, historisch gewachsenen Realitäten, deuten sie dialektisch mit dem Ziel, praktisch einzugreifen und zu verändern. Der Kapitalismus, charakterisiert durch das private Eigentum an Produktionsmitteln, hat sich überlebt, immer zerstörerischer entwickelt sich der Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung. Der Kapitalismus wird nicht das letzte Wort der Geschichte sein. Das Ziel der DKP ist der Sozialismus, für dieses Ziel gilt es die Mehrheit des Volkes zu gewinnen. Die Mitglieder der DKP arbeiten in und mit der Arbeiterklasse und den anderen Werktätigen für dieses Ziel.

Der Begriff Marxismus-Leninismus indes reduziert unsere Weltanschauung auf ein Bekenntnis, eine Konfession, im schlimmen Fall auf die ewigen Wahrheiten des »Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (B)« von 1938.

Der Leitantrag stellt aber auch fest, dass unsere Partei gegenwärtig nicht in der Lage ist, den Herausforderungen in angemessener Weise Rechnung zu tragen. »Wir sind derzeit nicht flächendeckend aktions- und kampagnenfähig, wir sind zu wenige und oft überaltert.« (Zeile 378/378). Die DKP ist schwach. Abhilfe soll die Stärkung der Arbeit der Parteigruppen schaffen. (»Zentral für die Entwicklung der DKP ist die Entwicklung der Grund- und Bezirksorganisationen. In den Grundorganisationen kommen Menschen mit unseren GenossInnen organisiert als Partei in Berührung, hier entwickeln sich Menschen zu KommunistInnen – in Theorie und Praxis. Die Grundorganisationen sind in ihrem Organisationsgrad sehr unterschiedlich und zum Teil unterentwickelt. Sie können sich nur entwickeln, wenn örtliche und zentrale Schwerpunkte miteinander in Einklang gebracht werden und eine Unterstützung und Anleitung durch die übergeordneten Leitungen erfolgt. Wir beschließen bundesweit eine gemeinsame politische Orientierung und setzen sie angepasst an die örtlichen Bedingungen um. Das ist die beste Möglichkeit, unsere Partei zu stärken und schrittweise zu entwickeln.« Zeile 388 bis 395)

In die Diskussion des Leitantrags hat Uwe Fritsch ein Papier eingebracht, das diesbezüglich etwas ausführlicher formuliert: »Die DKP kann dann attraktiv werden, wenn sie sich vor Ort stärker in die politischen Auseinandersetzungen einbringt. Hierzu bedarf es vor allem einer politischen Stärkung der Grundorganisationen sowie der Genossinnen und Genossen, die in ihrem politischen Umfeld arbeiten, um ihr aktives Eingreifen zu sichern.

Die Menschen spüren sehr deutlich, ob wir mit eigenen selbst entwickelten Aussagen und Forderungen zu aktuellen Fragen auftreten oder pauschale vereinfachende ›Wahrheiten‹ ohne Bezug zu den sie bewegenden Fragen in Betrieb und Gewerkschaft, in den Kommunen, Regionen und Bündnissen verkünden. Deshalb müssen die Grundorganisationen der DKP, die Genossinnen und Genossen in ihrem jeweiligen politischen Tätigkeitsfeld, sich wieder stärker dazu befähigen, eigenständig Politik zu entwickeln und einzugreifen. Voraussetzung dazu ist eine stärkere Vermittlung der Kernbestandteile unseres Parteiprogramms.

Die DKP kämpft nicht nur um das Teewasser und die Revolution, sie hat eine Strategie, die aktuell den Kampf für einen Politikwechsel und die Bildung von strategischen Allianzen gegen neoliberale Politik in den Mittelpunkt rückt. Genossinnen und Genossen erarbeiten sich in Grundorganisationen gemeinsame Positionen zu den Fragen, die den Menschen vor Ort auf den Nägeln brennen. Diese sollen dann sowohl in den Aktionen der Gruppen als auch im eigenständigen Auftreten in Betrieb, Gewerkschaft, Bündnis, in der Schule oder der Stadtteilarbeit vertreten werden.« Soweit Uwes Papier.

Mir erscheint das Verhältnis von innerparteilicher Demokratie, zentraler Orientierung inklusive Kampagnen, von Parteigruppen und zentraler Leitung im Leitantragsentwurf noch unzureichend erfasst. Aber die Aktionsfähigkeit und politische Ausstrahlung der Gruppen ist der Schlüssel zur Stärkung der Partei. Daraus folgt die Aufgabe, diese Aktions- (und nicht zuletzt Aufnahme-) fähigkeit der Parteigruppen zu entwickeln. Es müssen sich die Grundorganisationen weniger daran messen lassen, ob und in welchen Maße sie zentrale Schwerpunkte umsetzen, als die Parteileitungen daran, wie sie der Aufgabe gerecht werden, die Parteigruppen zu entwickeln.

Die Kölner Kreisorganisation hat sich vorgenommen, zu diesem Thema zu arbeiten und einen Antrag an den 21. Parteitag vorzulegen, mindestens aber Formulierungen für den Leitantrag vorzuschlagen.

Liebe Genossinnen und Genossen,

noch eine Bemerkung zum Schluss. Sprachliche Mängel deuten darauf hin, dass der Text an vielen Stellen noch nicht zu Ende formuliert, noch nicht völlig durchdacht sind. »Der Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital verschärft sich weiter«: das ist ein Satz, der in einer Satire auf kommunistische Programme Platz hätte.

Es fällt die Häufung von solchen Verben wie »muss« und »müssen« auf (18 mal). Das Wort »Bedeutung« erhält eben diese nur durch Adjektive wie »große« (2 mal) »besondere« (2 mal), »herausragende« (1 mal) »zentrale« (1 mal) oder Adjektive wie »enorm«. Damit sind Auswirkungen gemeint, die wohl keiner weiteren Erörterung bedürfen. Die Sprache des Leitantrags ist über weite Strecken weder geeignet, den Leser zu überzeugen, noch scheint das beabsichtigt. Seitenweise herrscht der Sprachgestus eines Glaubensbekenntnisses vor.

Klaus Stein, 1. Februar 2015
Foto: Klaus Müller


Descartes verbreitete über die Zirbeldrüse (Epiphyse), dass sie durch Bewegung, ganz mechanisch, so gut wie alle Körperfunktionen steuere. Sie neige sich nach verschiedenen Seiten und bestimme damit die Richtung der austretenden spiritus animales, die an ihren Zielorten Muskelbewegungen steuerten. Lebensvorgänge waren für Descartes rein mechanische Vorgänge, die sich aufgrund der in der ganzen Natur in gleicher Weise geltenden Gesetze allein aus dem Aufbau und der Anordnung der in einem Lebewesen enthaltenen Teile ergeben. Zitat: » […] der soeben erklärte Mechanismus [des Herzens ergibt] sich allein aus der Einrichtung der Organe […], die man im Herzen mit seinen Augen sehen, aus der Wärme, die man dort mit seinen Fingern spüren, und aus der Natur des Blutes, die man durch Erfahrung kennenlernen kann, und dies mit der gleichen Notwendigkeit, wie der Mechanismus einer Uhr aus der Kraft, Lage und Gestalt ihrer Gewichte und Räder folgt.« (Discours, Hamburg 1997, S. 81/83) Der Physiologe Rothschuh (1908-1984) teilt dazu mit: »Sein Mikrokosmos war ebenso eine Fabel wie sein Makrokosmos. Gewiss führte er mehr Irrtümer in die Details der Anatomie und Physiologie ein als er zerstörte.«