Köln
8. Mai 1945: Wer wurde befreit?
Referat zum 80. Jahrestag der Befreiung und des Kriegsendes in Europa
Transparent bei der Kundgebung am 8. Mai 2025, Foto: DKP Köln
Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos. Berlin war bereits eingenommen. Für Millionen Menschen in Europa ging damit die Zeit der faschistischen Herrschaft und Besatzung zu Ende. Der Zweite Weltkrieg war in Europa vorbei. In der Nacht zum 9. Mai wurde die Kapitulationsurkunde auch im Hauptquartier der Roten Armee in Berlin-Karlshorst unterzeichnet, was dazu führte, dass die Sowjetunion und viele ihrer Verbündeten den 9. Mai als Tag des Sieges feiert. Bis heute ist in Russland der 9. Mai ein Feiertag. Viele vom deutschen Faschismus besetzte Länder, Städte und Gebiete haben ihren eigenen Jahrestag der Befreiung, z.B. die Befreiung von Paris am 25. August 1944, die Befreiung Athens am 12. Oktober 1944, die Befreiung Dänemarks am 3. Mai, die Befreiung Prags am 5. und 6. Mai, Norwegens am 6. Mai oder die Befreiung Italiens vom „Duce“ (italienisch für „Führer“) am 28. April 1945. Hitler folgte ihm zwei Tage später.
Im Pazifik dauerte der Zweite Weltkrieg bei Japan noch bis zum 2. September. Der Abwurf zweier Atombomben durch die USA auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki zwang Japan zur Kapitulation. Die Anwendung dieser Massenmordtechnologie musste auch als klare Ansage und Drohung gegen die Sowjetunion im Kontext der Systemkonfrontation verstanden werden.
Von was für einer Befreiung ist hier die Rede?
Im Schwur von Buchenwald der Überlebenden des KZs, das sich selbst befreite, vom 19. April 1945 heißt es: „Heute sind wir frei! Wir danken den verbündeten Armeen der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt den Frieden und das Leben erkämpfen.“ [1]
Der Begriff Befreiung ist vieldeutig, gerade für uns Kommunistinnen und Kommunisten. Wir wollen – sehr verkürzt ausgedrückt – die Menschheit von der Knechtschaft des Kapitals befreien und eine Welt, „[so]dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist“ (Brecht). Davon kann im Mai 1945 in Deutschland zwar nicht die Rede sein, aber die totale militärische Niederlage des deutschen Imperialismus war dennoch eine Befreiung von Krieg, faschistischer Besatzung, Willkürherrschaft, Terror, Zwangsarbeit, Lagerhaft und Tyrannei für Millionen Menschen in Europa, für die Mehrheit. Gleichzeitig war sie auch eine Befreiung zum Aufbau einer friedlichen, demokratischen und sozialistischen Zukunft in Europa. Wie wir heute wissen, verlief diese Entwicklung mit der DDR im Osten und der BRD im Westen ab 1949 in Deutschland gänzlich unterschiedlich und endete mit der vorläufigen Niederlage des Sozialismus in Deutschland in Form der DDR im Jahre 1989/90.
Wem nützt Faschismus?
Die herrschende Klasse des Finanzkapitals in Deutschland brauchte den Krieg gegen die Sowjetunion, den Hitler führte, um Profite zu steigern, Ressourcen auszubeuten und Krisen zu exportieren. Sie nutzte den Faschismus als Werkzeug, um ihre Macht zu sichern und ging in ihren Verbrechen und dem Rassenwahn noch viel weiter. Die Nazis machten daraus keinen Hehl. Die organisierte Arbeiterklasse in Deutschland wurde zwölf Jahre zerschlagen, inhaftiert, verfolgt, gefoltert, eliminiert, was bis heute große Narben hinterlassen hat. Besonders getroffen hat es auch Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Kranke und Behinderte, Homosexuelle, religiöse Minderheiten oder sogenannte „Asoziale“: Millionen von Menschen.
Befreit wurden folglich alle, die kein Interesse an Krieg, Massenmord, Verfolgung und Faschismus haben: Das ist die Arbeiterklasse, die Bauernschaft, das Kleinbürgertum sowie die Intelligenz, aber auch die bürgerlichen Demokraten.
Doch in allen Klassen, hatten sich viele mitschuldig gemacht und sind bisweilen gut mit den Faschisten ausgekommen. Sie dürften sich nicht befreit gefühlt haben, zumindest nicht sofort. Die Profiteure von „Arisierung“ und Zwangsarbeit bei den Großgrundbesitzern und IG Farben, Siemens, Daimler Benz, Krupp, BMW, Volkswagen und Co auch nicht.
Die Mehrheit in der Bevölkerung hatte gesehen, wohin Kapitalismus und Imperialismus führen: Das Land liegt in Schutt und Asche. Die wirtschaftlichen, militärischen und politischen Eliten des Bürgertums hatten innerhalb von etwa 30 Jahren zwei Weltkriege losgetreten und verloren und es wurden ungeheure Verbrechen begangen.
Die Lage und Rolle der deutschen Bevölkerung
Der Historiker und Faschismusforscher Kurt Pätzold fasst die letzten Kriegsmonate und die Zeit danach insbesondere hinsichtlich der Rolle der deutschen Bevölkerung und ihren Bezug zur Befreiung zuletzt 2014 wie folgt zusammen:
„Überall folgten die deutschen Soldaten weiterhin den Befehlen ihrer Vorgesetzten. Nirgendwo liefen auch nur kleine Einheiten zum Gegner über oder gaben sich aus eigenem Entschluss gefangen. Ebenso wenig regte sich im Hinterland Widerstand gegen die Fortsetzung des Kämpfens und Sterbens. Fraglich war, wie lange diese dumpfe Gefolgschaft und der selbstmörderische Gehorsam anhalten, wie viele deutsche Soldaten und Zivilisten das Kriegsende nicht erleben würden, und welche Opfer den Befreiern Europas noch bevorstanden, jenen Millionen Soldaten, die den letzten Kriegstag und ihre Rückkehr in die Heimat herbeisehnten.
Angesichts der Fortsetzung eines schon lange verlorenen Krieges musste auch die Haltung der Offiziere und Soldaten in den Armeen der Anti-Hitler-Koalition immer erbitterter werden. Dazu trugen die um die Welt gegangenen Bilddokumente bei, die in von der Sowjetarmee befreiten Konzentrations- und Vernichtungslagern, in Majdanek und Auschwitz, gemacht worden waren. Diese Deutschen waren selbst in dieser Phase des Krieges offenkundig nur mit äußerster Gewalt zur Aufgabe zu zwingen. Am meisten bekamen das unter den Zivilisten in den letzten Kriegsmonaten Bewohner deutscher Städte zu spüren, als über Dresden, Würzburg, Pforzheim, Hildesheim, Potsdam, Chemnitz und weiteren zwischen Februar und April ein vernichtender Bombenhagel niederging.
An Trümmermauern erschienen Parolen wie »Wir kapitulieren nie«. [...] Die Mehrheit der Deutschen folgte Hitler und seiner Führungsklüngel schicksalsergeben in die sich abgrundtief abzeichnende Katastrophe. Zum einen sahen sie keine Möglichkeit alternativen Handelns, zum anderen standen sie unter dem Eindruck der verhängnisvollen Drohung der Machthaber, die das Aushalten bis zum Endsieg verlangten und Defätismus und Verweigerung mit dem Tod bedrohten. Der Terrorapparat des Regimes funktionierte und trat in dessen letzten Wochen und Monaten noch einmal grausam und öffentlich und nun gegen die eigenen »Volksgenossen« in Aktion.
Weiterhin blieb jedoch, wenn auch stolpernd, die Organisation des Kriegsalltags in Takt. Zwar wurden verschiedene Einschränkungen des Lebens immer drückender, und gleichzeitig wuchs die psychische Last angesichts des schon ungewiss gewordenen nächsten Tages. Doch die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, der Betrieb lokaler Verkehrsmittel, die Arbeit der Schulen dauerte fort, die Tageszeitungen wurden ausgeliefert, der Rundfunk sendete, Kinos, hatten sie keine Bombenschäden erlitten, boten ihre Programme. Vor allem wurden nach wie vor Waffen und Munition zur Versorgung der Heereseinheiten produziert. Nahezu alles wurde improvisiert, aber das Reichsgebiet, das kein Hinterland mehr, sondern Kampffeld geworden war, versank nicht im Chaos. So gelähmt das Denken von Millionen Deutschen auch sein mochte, sie setzten fort, was ihnen seit Jahren als Pflicht bezeichnet wurde und machten, ermüdet und ausgehungert, stumpf und dumpf weiter.
Noch immer funktionierten die Apparate, mit denen Millionen Zwangsarbeiter und Gefangene überwacht, beherrscht und arbeitsfähig gehalten wurden. Nirgendwo kam es – abgesehen von den allerletzten Kriegstagen – auch nur zu begrenzten, kurzzeitigen Aktionen der Arbeits- und Gefolgschaftsverweigerung. Alle Männer und junge Burschen fanden sich befehlsgemäß zu Übungen des Volkssturms ein. [...]
Vor dem Ansturm der sowjetischen Truppen hatten sich, aufgrund von Warnungen lokaler Behörden oder von Militärstäben, oder um dem Inferno der Schlachten zu entgehen, Millionen Zivilpersonen auf die Flucht nach Westen begeben, die einen anfangs noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, andere in Trecks auf Fahrzeugen, Pferdewagen oder zu Fuß, dritte, die in Küstennähe gewohnt hatten, gelangten auf deutsche Kriegsschiffe und so nach Westen. Mit sich führten sie ein Geringes ihrer Habe, deren Masse sie zurücklassen mussten. Meist hatten Nazifunktionäre nicht viel Mühe, den Fluchtstrom zu erzeugen. Viele fürchteten, in den Zugriff der »Russen« oder »Bolschewisten« zu geraten, und viele wussten, würde mit ihnen verfahren, wie es die deutschen Eroberer mit den in ihre Hände gefallenen Sowjetbürgern getan hatten, dass ihnen dann Entsetzliches bevorstand.
Nicht allen Flüchtenden gelang es, der unaufhaltsam näherkommenden Front zu entkommen. Schon auf ihren Fluchtwegen starben viele, vor allem Alte und Kinder. Andere gerieten zwischen die Fronten und inmitten von Kämpfen. Die Überlebenden sind später von der bürgerlichen Geschichtsschreibung sämtlich als die von »Sowjets«, »Russen« oder Polen Vertriebenen subsumiert worden, und sie und die Toten wurden zu unschuldigen Opfern erklärt. Opfer waren sie gewiss, aber die von ihrem Land verschuldeten, häufig von ihnen selbst mitverschuldeten Krieg, und dann die, die sie in der Januarkälte ins Ungewisse geschickt hatten. Und die deutschen Militärs brauchten für die Fortsetzung des Kriegs freies Schussfeld, und die Soldaten sollten nicht in die Lage kommen, unter den eigenen Frauen und Kindern zu kämpfen, denn in einem von Menschen geleerten Gelände.
Während die sowjetischen Armeen die Wehrmacht aus Polen und den ostdeutschen Gebieten vertrieben, nutzten die Westalliierten die Zeit, die eigenen Kräfte für ihren Vormarsch nach Osten ins Reichsinnere zu formieren. Dafür bildete das rheinisch-westfälische Gebiet, die letzte den deutschen Machthabern verfügbare Waffenschmiede, das nun nahe Hauptziel. Inzwischen flossen in Überlegungen und Entscheidungen bei allen Alliierten auch das Interesse ein, möglichst weit in das Zentrum Deutschlands vorzustoßen, am besten bis Berlin, und so einen besonders großen Anteil an den Siegen in der Schlussphase des Krieges zu gewinnen. Das betraf nicht die Frage, wer nach Deutschlands Kapitulation welche Teile des Landes besetzen werde. Die Entscheidung über die Grenzen künftiger Besatzungszonen in Deutschland und Österreich war 1944 und abschließend in Jalta bereits einvernehmlich getroffen worden.
Im Februar und März 1945 begannen die Offensiven der britischen Truppen, deren Generalrichtung Norddeutschland und damit die Küste der Nordsee mit Hamburg und Bremen bildete, und der US-amerikanischen Truppen, die in die Mitte Deutschlands eindringen sollten. Das alliierte Oberkommando mied zunächst den Süden, wo sich den eigenen Verbänden in Mittelgebirgen mehr Hindernisse zur Entfaltung ihrer Technik und den Deutschen, waren sie auch insgesamt hoffnungslos unterlegen, mehr Möglichkeiten der Gegenwehr boten als in der norddeutschen Tiefebene. Zuvor war die Rheinlinie zu erreichen und zu überwinden. Das gelang, als Briten und Amerikaner unter anderem Minden, Trier, Köln und Mainz erreichten und zwei Brückenköpfe über den Strom erkämpften.
Am 24. März eröffneten britische Verbände bei Wesel den Vorstoß in das rechtsrheinische Gebiet mit dem Ziel, die Häfen an der Nordsee einzunehmen. Am 26. April war Bremen in ihrer Hand. Ebenfalls noch Ende März stießen amerikanische Truppen aus Brückenköpfen über den Rhein und besetzten Darmstadt, Frankfurt a. M., Mannheim und Kassel, am 4. April waren sie in Köln […].
Bis heute gedenken Menschen in vielen europäischen Staaten des 8. oder 9. Mai als des Tages des Kriegsendes und des Sieges über die Hauptmacht des Faschismus und erinnern an jene Millionen, die in den Kämpfen an den Fronten, als Partisanen oder Widerstandskämpfer ihr Leben einsetzten und verloren und an die im Kriegsverlauf als Zivilisten zu Tode Gekommenen. An diesem Sieg waren Menschen aller Kontinente beteiligt, aus Ländern fern von Europa, darunter viele, die als Soldaten in den Armeen Großbritanniens, der USA und Frankreichs und als deren Verbündete gekämpft hatten. Australier und Inder, Neuseeländer und Kanadier, Polen, Spanier, die aus ihrem von Faschisten beherrschten Heimatland geflohen waren, Angehörige von Völkern Afrikas, Juden aus Palästina. Von der Normandie bis Stalingrad zeugen Friedhöfe mit endlosen Reihen von Gedenksteinen und -kreuzen von den Opfern dieses Krieges, benannten und namenlosen.
Und die Deutschen? Eine verschwindende Zahl von ihnen hat an der Seite dieser weltweiten Koalition gestanden. Wenige kämpften in den Reihen der alliierten Armeen oder stießen in Griechenland, Jugoslawien und Frankreich zu den Partisanen. Im Reich selbst wirkten kleine organisierte Gruppen im Untergrund, blutig verfolgt von der Geheimen Staatspolizei und der Justiz, solche die von Angehörigen politischer antifaschistischer Parteien gebildet worden waren, vorwiegend von Kommunisten und Sozialdemokraten, andere in Zusammenschlüssen bürgerlicher Hitlergegner, dazu todesmutige Einzelkämpfer, allesamt Menschen, für die Anstand, Hilfsbereitschaft und Solidarität Handlungsgrundsätze geblieben waren. Die Namen mancher, der kommunistischen Gruppen um Bernhard Bästlein, Wilhelm Knöchel, Anton Saefkow, Georg Schumann, Robert Uhrig, der Münchner »Weißen Rose« und die Geschwister Hans und Sophie Scholl, der Mitglieder der »Roten Kapelle« mit Hans und Hilde Coppi, Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen, des Berliner Kreises »Onkel Emil« u.a. stehen in Geschichtsbüchern und für das Ganze, auf das Ganze gesehen aber für das Geringe.
Zu den Deutschen gegen Hitler gehörten in vielen ihrer Zufluchtsländer auch aus dem Reich Vertriebene, Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler zumal, die in Wort und Schrift zum Kampf riefen, sich in eigenen Organisationen – zu denen im Osten wie im Westen gebildete Nationalkomitees »Freies Deutschland« gehörten – zusammenschlossen, Bücher und Zeitungen herausgaben, auf politischen Kundgebungen sprachen, sich über Rundfunksender und durch Texte, die u.a. Flugzeuge abwarfen, oder als Frontbeauftragte an Wehrmachtssoldaten und ihre Landsleute im Reich wandten. Manche fungierten in militärischen und zivilen Institutionen ihrer Gastländer als Berater, insbesondere wenn es darum ging, die Wirkung und die Aussichten von Maßnahmen zur propagandistischen Beeinflussung der »Volksgenossen« abzuschätzen.
Im Mai 1945 schwiegen in Europa die Waffen. Der Krieg war auf dem »alten« Kontinent zu Ende gegangen. […]
Das Kriegsende begingen Millionen Menschen zwischen dem französischen Brest und dem sowjetischen Wladiwostok, zwischen Narvik und Kreta und jenseits des Atlantik in den USA und Kanada als Festtag und Jubel, andere Millionen taten es im Gedenken an Menschen, die ihnen nahe gestanden und die ihnen im Kriege genommen worden waren. Es feierten die Soldaten, die befreiten Kriegsgefangenen, die verschleppten Zwangsarbeiter und die Häftlinge von Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern. Mit ihnen deutsche Widerstandskämpfer und Emigranten in den Ländern ihrer Zuflucht. Mütter und Väter selbst im fernen Australien und in Indien erwarteten die Rückkehr ihrer Söhne, die in Europa gekämpft hatten, und das taten auch Ehefrauen und Bräute und Millionen Kinder.
Da war die grausige Bilanz dieses Krieges in ihrem Ausmaß noch nicht voll ins Bewusstsein der Überlebenden getreten und die Zahl der Millionen Toten auch durch Schätzungen noch nicht annähernd ermittelt. Damit sind bis heute Forscher namentlich in Staaten befasst, deren Bevölkerungsstatistiken in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts unzuverlässig oder in denen sie noch gar nicht eingeführt waren. Erfasst und unterschieden wurden die durch unmittelbare Kriegshandlungen in den Kämpfen an den Fronten und im Partisanen- und Bombenkrieg Umgekommenen, was zu einer Schätzung von 50 bis 56 Millionen Toten führte. Dazu kommen die Opfer der Kriegsverbrechen, des Terrors, der Geiselerschießungen, des Hungers in den besetzten Gebieten, des Massensterbens in den Lagern der Kriegsgefangenen, sodann die ermordeten europäischen Juden, Sinti und Roma, Kranken und Behinderten und schließlich die in Konzentrationslagern getöteten und nach Gerichtsurteilen hingerichteten Widerstandskämpfer vieler Nationen, Antifaschisten, Nazi-Gegner, Kriegsdienstverweigerer, Homosexuelle. Allein die Opfer der deutschen Kriegs- und Menschheitsverbrechen wurden auf mehr als 13 Millionen errechnet, deren größte Gruppe die getöteten Juden bilden, deren Zahl auf zwischen 5,7 und 6,3 Millionen eingegrenzt wurde. Die Gesamtsumme der im Zweiten Weltkrieg Umgekommenen wird verschiedentlich mit mehr als 60 Millionen angegeben, verschiedentlich auch auf etwa 80 Millionen geschätzt. Dieses Töten und Morden hatte mit dem Sieg der Alliierten ein Ende, jedoch nicht das Sterben, denn noch auf Jahre gingen Menschen an den Kriegsfolgen, physischen und psychischen Leiden zugrunde.
Die Mehrheit der Deutschen, die im Mai 1945 zwar aufatmete und im Bewusstsein ihres Überlebens erleichtert sein konnte, wurde aber zugleich von einer Unzahl an Ungewissheiten bedrückt. Dass dieser Tag auch der ihrer eigenen Befreiung war, begriffen viele erst später und nicht wenige bis zu ihrem Tode nicht. Für die weitaus meisten gilt: sie waren ohne ihr Zutun vom schändlichsten Dasein befreit, das Deutsche in der europäischen und Weltgeschichte je gelebt hatten. Sie waren weltweit zum meist gehassten Volk geworden und teilten sich diese Rolle allenfalls mit dem Japanischen. Aber sie würden – vorausgesetzt, die Siegermächte handelten nach der Devise, die Stalin in einem Armeebefehl am 23. Februar 1942 formuliert hatte, wonach geschichtliche Erfahrungen besagten, dass die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk aber bleibe – nun eine Chance erhalten, sich unter den Völkern einen anderen Platz zu erobern und, wie es bald hieß, in deren Gemeinschaft zurückzukehren, von der sie vorerst ausgeschlossen waren.
Millionen Wehrmachtssoldaten, insgesamt gerieten im Kriegsverlauf und nach Kriegsende mehr als 11 Millionen deutsche Männer in Gefangenschaft, befanden sich 1945 in Lagern der Siegermächte, britischen, US-amerikanischen, sowjetischen, polnischen, französischen, jugoslawischen und, weil sie zu Zwecken der Wiedergutmachung dahin übergeben wurden, in weit geringerer Zahl in solchen der Niederlande, Belgiens, Luxemburgs und der Tschechoslowakei. Für die Masse blieb das ihr Lebensort nur für Monate, für viele aber auf Jahre hinaus. Sie arbeiteten in Kohlengruben Frankreichs, andere in Wäldern des fernen Sibiriens. Die einen wie die anderen leisteten einen insgesamt geringen Beitrag zur Beseitigung der immensen materiellen Schäden und Zerstörungen, die sie verursacht hatten. Für manche verging ein Jahrzehnt, bis sie die Freiheit wiedererlangten. Die letzten kehrten 1955 aus der UdSSR zurück. Etwa jeder 10. der in Gefangenschaft geratenen Soldaten hatte nicht überlebt, eine Zahl, die wesentlich durch die Bedingungen und Verhältnisse bestimmt war, unter denen sie die Waffen gestreckt hatten. Wer wie die Angehörigen der 6. (Stalingrad-)Armee den Kampf mit Zehntausenden erst einstellte, als er von Strapazen, Krankheiten und Erfrierungen physisch und psychisch aufs äußerste geschwächt war, ging schon auf Märschen und Transporten in die Lager zugrunde.
Millionen Deutsche zwischen Oder und Rhein begannen sich im Mai 1945 ihr Leben in den Trümmern ihrer Städte einzurichten und das auf unabsehbare Zeit. Weitere Millionen, sofern sie nicht schon vor den Kriegsereignissen westwärts geflohen waren, hatten ihre Wohnorte zu verlassen, weil Tschechen, Polen und Jugoslawen, aber auch die einst verbündeten Ungarn sie in ihren Lebensräumen nicht länger dulden wollten und Deutschlands Ostgrenze gegenüber dem wieder erstandenen polnischen Nachbarstaat entlang von Oder und Lausitzer Neiße neu bestimmt wurde. Lange hielt sich unter diesen Ausgesiedelten und Vertriebenen, die sich in der Bundesrepublik in Verbänden zusammenschlossen, die Vorstellung, sie könnten eines Tages in die Orte zurückkehren, die sie unter diesem oder jenem Zwang verlassen hatten. Dazu trug bei, dass die Regierung in Bonn die Oder-Neiße-Grenze Jahrzehnte lang nicht als die definitive zwischen Deutschen und Polen anerkannte.“ [2]
Bürgerliche Erinnerungspolitik
Die sog. Erinnerungspolitik der unmittelbaren Nachkriegszeit oder der Umgang mit den Nazi-Verbrechern in Ost- und Westdeutschland kann hier nicht vollständig nachgezeichnet werden, wobei jedoch festzuhalten ist, dass die Entnazifizierung und Demilitarisierung in der sowjetischen Besatzungszone besonders gründlich erfolgt ist, wie es im Potsdamer Abkommen der Anti-Hitler-Koalition im August 1945 auch festgehalten wurde.
Man gewinnt beim Lesen von Artikeln in der bürgerlichen Presse zum 80. Jahrestag der Befreiung den Eindruck, dass der Tag weitestgehend vom Inhalt befreit werden soll. Es geht dort selbstverständlich nicht um die Frage, wie Krieg und Faschismus verhindert werden kann, denn das würde u.a. unweigerlich die Systemfrage stellen. Stattdessen geht es darum, die DDR und ihr antifaschistisches Erbe zu verunglimpfen, indem behauptet wird, die Menschen im Gebiet der späteren DDR seien gar nicht befreit worden und der Antifaschismus sei ja bloß „verordnet“ gewesen. Das behauptet unter anderem der unsägliche Hubertus Knabe in seinem Gastartikel in der FAZ am 7. Mai. [3] Richard von Weizsäcker hatte sich das in seiner bekannten Rede ‘85 noch nicht getraut. Beliebt in reaktionären Kreisen ist heute auch die Legitimierung der ukrainischen Angriffe auf Russland, inklusive die Aufrüstung und das Training bewaffneter Neonazistrukturen vor Ort durch NATO-Ausbilder im Namen des Tages der Befreiung. Perverser geht es kaum.
Der Kampf für den Frieden ist auch 80 Jahre nach dem Sieg über den Deutschen Faschismus notwendig und der Imperialismus plant aktuell – wieder – Russland und China militärisch anzugreifen. Foto: DKP Köln
Wie ist es heute?
Seit 2020 wird der Tag auf Bundesebene als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des Zweiten Weltkriegs in Europa“ bezeichnet, ein gesetzlicher Feiertag ist er jedoch nach wie vor nicht. Unsere Partei setzt sich dafür ein. Lediglich im Stadtstaat Berlin ist der 8. Mai alle 5 Jahre ein gesetzlicher Feiertag.
In anderen Ländern ist der 8. oder 9. Mai ein Feiertag, z.B. in Frankreich („Tag des Sieges“, seit 1946/81), Tschechien („Tag der Befreiung“) und der Slowakei („Tag des Sieges“, früher 9. Mai), Serbien („Tag des Sieges“). Die Niederlande feiert jährlich am 5. Mai ihren Befreiungstag, er ist jedoch nicht arbeitsfrei. Österreich und Polen haben keine eigenen Feiertage anlässlich des Kriegsendes oder dem Ende der Besatzung (mehr).
Seit 1964 wird versucht, den 9. Mai als sog. „Europatag“ zu etablieren, da es der Jahrestag der Unterzeichnung des sog. Schuman-Plans darstellte, einer Kooperation zwischen Westdeutschland und Frankreich für Kohle- und Stahlproduktion, was ein Vorläufer der Europäischen Union darstellen soll. Luxemburg (seit 2019) und der Kosovo feiern den 9. Mai als Europatag. Seit 2023 hat die Ukraine den Tag des Sieges mit dem Europatag ersetzt. Der Europatag kann als bürgerlicher Versuch verstanden werden, die Geschichte und Lehren des Zweiten Weltkriegs und aus faschistischer Herrschaft in Europa reaktionär umzudeuten.
Befreiung – Was sonst?!
Nicht alle Deutschen wurden damals befreit, viele wurden auch besiegt. Und von den letzteren schicken sich heute einflussreiche Kräfte des deutschen und westlichen Finanzkapitals erneut an, ihre Aggression wieder gegen Russland und China zu richten, was aus Sicht des Autors durch die diesjährige Ausladung russischer Vertreter zu den offiziellen Gedenken durch das Auswärtige Amt nochmal unterstrichen wird.
Es gab nicht den Widerstand gegen den Faschismus. In jedem Land gab es unterschiedliche Formen. So gab es die Resistance in Frankreich, die Partisanen in Jugoslawien mit Tito, die Partisanen in Griechenland und Polen, die Resistenza in Italien sowie andere unzählige zivile oder militante Formen des Widerstands von Männern und Frauen.
Allen Ländern ist gemeinsam, dass die organisierte Arbeiterklasse in Form von kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien und Organisationen stets in den vordersten Reihen des Widerstands gegen Krieg und Faschismus aktiv waren. Und in dieser Tradition stehen wir. Wir müssen das Gedenken, Erinnern und Mahnen des Zweiten Weltkriegs verbinden mit dem Feiern über das Kriegsende und den militärischen und politischen Triumph über den deutschen und italienischen Faschismus. Die Mehrheit der Bevölkerung wurde objektiv durch die Alliierten von Krieg und Faschismus befreit, trotz teilweise widersprechendem subjektivem Empfinden. Das bedeutet auch, dass wir den Versuchen von Rechts, den Tag geschichtsrevisionistisch umzudeuten, entgegentreten müssen. Insbesondere in Zeiten, in denen unwidersprochen und unverhohlen in bürgerlichen Debatten die Geschichte zurückgerollt werden soll, der 1. Weltkrieg von taumelnden Schlafwandlern begonnen worden sein soll, Putin mit Hitler verglichen wird oder die Kriegsführung der russischen Armee in der Ukraine als „Vernichtungskrieg“ bezeichnet wird. Es ist unsere Aufgabe, darauf hinzuweisen, dass die Sowjetunion den größten Beitrag zur Befreiung leistete mit 18 Millionen ermordeten Zivilistinnen und Zivilisten und 9 Millionen toten Soldaten. Der deutsche barbarische Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion, der am 22. Juni 1941 begann mit der sog. „Operation Barbarossa“ ist nicht zu vergleichen mit der Art der Nazikriegsführung in Westeuropa. Es war die genozidale Absicht der großdeutschen Herrschenden im faschistischen Deutschland, mindestens 30-50 Millionen Sowjetbürger durch Hunger, Terror und Erschießungen zu vernichten [4].
Es darf auch nicht vergessen werden, dass im faschistischen Franco-Spanien der Faschismus an der Macht noch nicht erledigt war. Auch Portugal befand sich im Mai 1945 fest in den Händen von reaktionären Kräften. Der Diktator Salazar, der seit 1933 als Ministerpräsident von Portugal einen stark repressive bürgerliche Diktatur errichtete, war glühender Bewunderer von Mussolini. Erst die Nelkenrevolution im April 1974 schaffte wieder bessere Bedingungen für die Lage der arbeitenden Klassen in Portugal.
Ich möchte enden mit einem Zitat aus dem Vorwort zu einem Buch über den antifaschistischen Widerstand in Europa von 1922-1945 des griechischen Widerstandskämpfers Manolis Glezos, der u.a. die Hakenkreuzflagge von der Akropolis in Athen holte und damit zum Nachdenken anregen:
„Wer erinnert sich heute noch an Walter Funk? Dieser Mann war der Finanzminister für Hitler von Januar 1939 bis zum Ende am 8. Mai 1945. Dieser Mann war der Erste der die Idee einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ersann (so lautete auch der gleichnamige Titel seines einschlägigen Berichts, der im Jahr 1942 veröffentlicht wurde ‚Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft‘), damit das Dritte Reich alleine die Ressourcen Europas kontrollieren konnte. Dann jedoch wurde der Nazismus mit der militärischen Niederlage konfrontiert und Walter Funk vor Gericht gestellt. In Nürnberg wurde er als Kriegsverbrecher verurteilt. […] Heute ähnelt Europa weit mehr dem von Walter Funk gedachten Europa.“ [5]
M auf der Mitgliederversammlung im Mai 2025 der DKP Gruppe Köln-Innenstadt
Anmerkungen
[1]: Schwur von Buchenwald, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Schwurvonbuchenwald.gif
[2]: Kurt Pätzold, Basiswissen Zweiter Weltkrieg, PapyRossa Verlag, 2014, S. 99ff
[3]: Hubertus Knabe „Besiegt – oder befreit?“, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/8-mai-1945-besiegt-oder-befreit-110455068.html, 7. Mai 2025
[4]: Vgl. „Generalplan Ost“ 1941/42 oder auch den sog. „Backe-Plan“ /“Hungerplan“ 1941 benannt nach dem nach dem Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Herbert Backe
[5]: Zitiert aus dem Vorwort von Manilos Glezos am 13. Mai 2015 zum Buch „Antifaschistischer Widerstand in Europa 1922-1945“ von Ulrich Schneider und Jean Cardoen, PapyRossa Verlag, 2015
Referat zum Jahrestag der Befreiung als PDF