Betrieb & Gewerkschaft

Der Kampf um die Verkürzung der Wochenarbeitszeit

Ford, vergittert mit IG-Metall-Transparenten «Warnstreik – unser gutes Recht», «Miteinander für Mehr Zeit für uns» und Schild «Volle Kampfkraft voraus! Für 6% kürzere Arbeitszeit! 24-Std-Streik!». 

Das Referat von Wolfgang Berlin über den Kampf um Wochenarbeitszeitverkürzung (seit den sechziger Jahren), das er am 30. Januar in Köln im Rahmen einer Beratung des KV hielt, hat er noch ergänzt um eine Einschätzung der diesbezüglichen Ergebnisses der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie.

Arbeitszeitverkürzung

Ausgangslage in den 70er Jahren

Mit dem Einsatz von mikroelektronisch gesteuerten Robotern, Automaten und Datenverarbeitungsverfahren sowie durch eine erhebliche Verdichtung der Arbeitsprozesse trugen die Unternehmen seit den 70ern verstärkt dazu bei, menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen. Anders als in vorangegangenen Jahrzehnten schien der rationalisierungsverursachte Stellenabbau nicht mehr durch Wachstumseffekte ausgeglichen zu werden. Die Gewerkschaften begrüßten technische Produktivitätszuwächse nicht mehr uneingeschränkt, sondern problematisierten vermehrt individuelle wie gesamtwirtschaftliche Folgen rationalisierter Arbeitskraft.

Teile des bundesdeutschen Unternehmerlagers reagierten auf die Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre mit der Forderung, die aus ihrer Sicht vor allem die angeblich von Gewerkschaften mitverursachte «Anspruchsinflation» unter Kontrolle zu bringen, sprich die Spielräume der Arbeitnehmerorganisationen einzuschränken. Nur über eine anhaltende Verbilligung des Produktionsfaktors Arbeit könnten die zu beträchtlichen Teilen von Gewerkschaften und Sozialstaat verantworteten angeblichen Investitionshemmnisse beseitigt werden.

Insofern sie niedrigere Tarifabschlüsse hinnehmen mussten und ihr Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen rückläufig war, sahen sich Gewerkschaften durch die Massenarbeitslosigkeit in ihrer Kampfkraft beeinträchtigt. Innerhalb der Mitgliedschaft führte die nachlassende Durchsetzungskraft gewerkschaftlicher Tarifpolitik zu wachsenden Legitimationsproblemen.Die Probleme, mit denen sich «Gewerkschaften in der Krise» konfrontiert sahen, brachte der IG Metall-Vorsitzende Hans Mayr in seinem Geschäftsbericht zum Gewerkschaftstag 1983 auf den Punkt: «Wir brauchen ja auch endlich wieder einmal ein Erfolgserlebnis, nachdem wir in den letzten drei Jahren kaum noch etwas vorzeigen konnten.»

Schließlich waren die letzten Arbeitszeitkampagnen schon einige Jahre her. Die tarifliche Absicherung der 40-Stunden-Woche erfolgte weitgehend in der Mitte der 60er Jahre, der ebenso tariflich vereinbarte freie Samstag wurde in vielen Gewerken ab 1967 Realität.

DGB-Gewerkschaften

In den frühen 1970er Jahren hatten die Gewerkschaften ihre Vorschläge für kürzere Arbeitszeiten vor allem mit der von ihnen geforderten «Humanisierung der Arbeitswelt» begründet. Der Trend zur Verdichtung des Arbeitstages sollte sozial abgefedert werden. Mit der Verschärfung der Wirtschaftskrise in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre traten arbeitsmarktpolitische Argumente stärker in den Vordergrund. Viele DGB-Gewerkschaften forderten angesichts steigender Erwerbslosenzahlen und einer gleichzeitig zunehmenden Arbeitsproduktivität eine Umverteilung der vorhandenen Arbeit. Arbeitszeitverkürzungen würden aber nicht nur neue Arbeitsplätze schaffen, sondern gerade auch die Vernichtung bestehender verhindern. In der gewerkschaftlichen Begründung von Arbeitszeitverkürzungen spielte ebenso der Zuwachs an frei verfügbarer Zeit eine wichtige Rolle, der den Beschäftigten bessere Möglichkeiten zur eigenständigen Gestaltung ihrer individuellen und gesellschaftlichen Lebenspartizipation eröffnete.

Unternehmerverbände

Die Unternehmerverbände sprachen sich dogmatisch gegen eine weitere Reduzierung der Wochenarbeitszeit unter 40 Stunden aus. In einem so genannten «Tabu-Katalog» stellte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) 1978 fest, dass «eine weitere Reduzierung des Arbeitsvolumens durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit unter 40 Stunden keinesfalls zu verantworten» sei. «Sie würde das notwendige wirtschaftliche Wachstum ernstlich beeinträchtigen und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährden.» Dieter Kirchner, der Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, brachte die ablehnende Haltung zur 35-Stunden-Woche auf die Formel «Lieber 4 Wochen Streik als 1 Minute Arbeitszeitverkürzung».

In den frühen 1980er-Jahren kombinierte die Unternehmerseite ihre Ablehnung verkürzter Wochenarbeitszeiten immer häufiger mit Vorschlägen für eine stärkere «Arbeitszeitflexibilisierung».

Parteien im Bundestag

CDU/CSU:

Die CDU lehnte die Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche als «undifferenziert» ab und sprach sich stattdessen für flexiblere und weniger zentralistische Strukturen auf dem Arbeitsmarkt aus. Helmut Kohl bezeichnete die Gewerkschaftsforderung nach einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden als «absurd, dumm und töricht». Als Alternative zur Wochenarbeitszeitverkürzung legte die Bundesregierung im Dezember 1983 einen Gesetzentwurf zur Erleichterung tariflicher Vorruhestandsregelungen vor.

FDP:

In ihren Mainzer Beschlüssen zur Arbeitszeitverkürzung vom Dezember 1978 erklärte die FDP eine Senkung der Wochenarbeitszeit noch für familienpolitisch erwünscht. Bereits hier stand aber die Flexibilisierung von Tages- und Wochenarbeitszeiten sowie die Lockerung des Ladenschlussgesetzes im Mittelpunkt des Forderungskatalogs. Nach der Bonner Wende begründete Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff die Ablehnung der 35-Stunden-Woche mit «wettbewerbsschädlichen und arbeitsplatzvernichtenden Folgen» verkürzter Wochenarbeitszeiten.

SPD:

In der SPD wurde die Gewerkschaftsforderung nach einer 35-Stunde unterschiedlich bewertet. In einer Rede vor Bundeswehroffizieren sprach sich der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt gegen einen Lohnausgleich aus. «Die 35-Stunden-Woche kann nicht realisiert werden, wenn man nicht gleichzeitig bereit ist, auch nur für 35 Stunden Lohn zu erhalten. Sonst werden die deutschen Produkte noch teurer.» Willy Brandt dagegen schien die Gewerkschaften in ihrem Kampf zur Einführung der 35-Stunden-Woche unterstützen zu wollen. Der Essener Bundesparteitag der SPD im Mai 1984 erklärte sich mit den für die 35-Stunden-Woche streikenden Gewerkschaften solidarisch. Große, auch innerparteiliche Kontroversen löste 1988 der Vorschlag des damaligen saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine aus, eine Arbeitszeitverkürzung auf zunächst 30 Stunden durch Lohnverzicht oberer Einkommensgruppen zu realisieren.

Die Grünen:

Die seit 1983 im Bundestag vertretenen Grünen sprachen sich in den 80ern für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit aus. Ihre Parteinahme für die 35-Stunden-Woche begründete die Partei mit zu erwartenden beschäftigungspolitischen Effekten, mit wachstumskritischen Argumenten, mit durch reduzierte Arbeitsbelastung erweiterten Partizipationsmöglichkeiten sowie mit der Notwendigkeit einer geschlechtergerechteren Aufteilung von Reproduktionsarbeit. Die Zeitsouveränität von Beschäftigten hofften die Grünen mit einem garantierten Grundeinkommen sowie mit einem «Recht auf selbstbestimmte Wenigerarbeit» Rechnung zu tragen.

Innergewerkschaftliche Diskussion
Begründung von Arbeitszeitverkürzung

Zu Beginn der 1970er-Jahre begründeten die Gewerkschaften in der Bundesrepublik ihre Forderung nach weiterer Verkürzung der Arbeitszeit (etwa über verlängerte Ausbildungszeiten, die Absenkung des Renteneintrittsalters oder einen sechswöchigen Jahresurlaub) vor allem mit der aus ihrer Sicht notwendigen Humanisierung der Arbeitswelt.

Vor dem Hintergrund einer massiven Unzufriedenheit mit Arbeits- und Lebensbedingungen beklagte der damalige DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter in einem 1973 veröffentlichten Beitrag für die Gewerkschaftlichen Monatshefte menschenunwürdige Lohnsysteme («Akkord ist Mord»), Schichtarbeit, einen durch gestiegene Leistungsanforderungen und erhöhtes Arbeitstempo verursachten Stress sowie andere gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen, die dazu führten, dass es allein in der Bundesrepublik jährlich 2,6 Mio. Arbeitsunfälle gebe, davon 4.200 mit tödlichem Ausgang.

Im Zuge der Wiederkehr der Massenarbeitslosigkeit seit Mitte der 1970er-Jahre wurde der Verweis auf eine notwendige Humanisierung der Arbeitswelt in der gewerkschaftlichen Diskussion zusehends durch die Hoffnung auf beschäftigungspolitische Wirkungen von Arbeitszeitverkürzung in den Hintergrund gedrängt. In seinen Vorschlägen zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung aus dem Jahr 1977 forderte DGB nicht mehr nur staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, sondern auch eine Verkürzung der Arbeitszeit. Wachstumsraten, die mittelfristig zu einer Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit führen würden, erschienen den Gewerkschaften nunmehr illusionär und auch in ökologischer Hinsicht fragwürdig.

Eine Minderheit innerhalb der Gewerkschaften vertrat die Ansicht, dass engagiertes Eintreten für Arbeitszeitverkürzung auch ein Mittel sein könnte, in Zeiten ökonomischer Strukturkrisen gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit wiederzugewinnen, die sich von den restriktiven Vorgaben von Staat und Unternehmen unabhängig macht. Die Forderung nach der 35-Stunden-Woche sei «Ausdruck des Bemühens um die Entwicklung eigenständiger Kampfmittel gegen die Arbeitslosigkeit». Sie zeigt, dass die Gewerkschaft sich nicht mehr darauf verlassen kann und will, dass Staat und Regierung die anstehenden Probleme lösen werden.

Strategien zur Arbeitszeitverkürzung

Obwohl die deutschen Gewerkschaften seit Ende der 1970er-Jahre über das Ziel weiterer Arbeitszeitverkürzung im Grundsatz übereinstimmten, waren sie uneins über die am besten geeigneten Mittel. Auf dem DGB-Kongress von 1978 konnte keine Übereinkunft über die konkrete tarifpolitische Umsetzung kürzerer Arbeitszeiten erzielt werden.

In der IG Druck und Papier gehörte die Forderung nach der 35-Stunden-Woche schon seit 1970 zur offiziellen Beschlusslage. Mit der Deutschen Postgewerkschaft, der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands und der Gewerkschaft Holz und Kunststoff plädierten ab Mitte der 1970er-Jahre weitere DGB-Einzelgewerkschaften für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden. Die IG Metall diskutierte auf ihrem 12. Gewerkschaftstag im September 1977 entsprechende Forderungen sehr kontrovers. Gegen den ausdrücklichen Willen des IG Metall-Vorstands setzten sich 45 Verwaltungsstellen für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 30-35 Stunden ein. Mit knapper Mehrheit fand die Forderung nach der 35-Stunden-Woche Aufnahme in den gewerkschaftlichen Zielkatalog, eine Prioritätensetzung sollte allerdings damit nicht verbunden sein. Nachdem die 35-Stunden-Woche bereits im Stahlarbeiterstreik 1978/79 gefordert worden war, entschied sich der Vorstand der IG Metall endgültig erst im September 1982, mit der Forderung nach der 35-Stunden-Woche in die nächste Tarifauseinandersetzung zu gehen. Unter den Befürwortern der 35-Stunden-Woche wurden auch die Modalitäten ihrer konkreten Umsetzung diskutiert. Zur Debatte standen die Notwendigkeit des vollen Lohnausgleichs bzw. die des Verzichts auf Einkommensverbesserungen.

In Abgrenzung zum Konzept der 35-Stunden-Woche machten sich andere, stärker sozialpartnerschaftlich orientierte DGB-Gewerkschaften für unterschiedliche Modelle verkürzter Lebensarbeitszeiten stark. Die Gewerkschaften IG Chemie, NGG, Textil forderten auf dem DGB-Kongress von 1982 verkürzte Arbeitszeiten für ältere Arbeitnehmer. Die IG Bergbau und Energie und die IG Bau-Steine-Erden gaben Vorruhestandsmodellen den Vorzug vor der 35-Stunden-Woche. Während die IG Metall Vorbereitungen für die Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche traf, schloss die IG Chemie-Papier-Keramik am 25. März 1983 einen Tarifvertrag ab, der die wöchentliche Arbeitszeit für ältere Beschäftigte reduzierte, an der 40-Stunden-Woche aber öffentlichkeitswirksam festhielt.

Arbeitskämpfe um die 35-Stunden-Woche
Streik der IG Metall 1978/79

Zwischen dem 28. November 1978 und dem 10. Januar 1979 streikten Arbeiter der nordrhein-westfälischen Eisen- und Stahlindustrie für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden. Seit Ausbruch der Strukturkrise im Jahr 1975 waren in der westdeutschen Stahlindustrie 40.000 Stellen abgebaut worden. Die Stahlunternehmen lehnten die von der IG Metall geforderte Verkürzung der Wochenarbeitszeit ab. Bereits während der Tarifverhandlungen bereiteten sich die Arbeitgeber durch die Aufstockung von Vorräten intensiv auf einen Arbeitskampf vor.

Am 5. Dezember stimmte die IG Metall der Unternehmerforderung zu, den nordrhein-westfälischen Arbeits- und Sozialminister Friedhelm Farthmann, einen Befürworter verkürzter Lebensarbeitszeiten, mit der Vermittlung im Arbeitskampf zu beauftragen. Im Zuge der Vermittlungsgespräche wurde der Umstieg von einer weitreichenden Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf eine «stahltypische» Lösung vorbereitet. In vielen Stahlbetrieben kam es in Folge zu heftigen Konflikten zwischen Streikaktivisten und Gewerkschaftsführung.

Der am 6. Januar 1979 den Verhandlungskommissionen auf Gewerkschafts- und Unternehmerseite vorgelegte Kompromissvorschlag sah keine Verkürzung der Wochenarbeitszeit vor. Neben 4 % mehr Lohn sollten Arbeitnehmer stattdessen Freischichten und mehr Urlaubstage erhalten. Nach sechs Wochen Streik stimmten in der Urabstimmung 54,47 % der Gewerkschaftsmitglieder für das Ergebnis, 45,53 % dagegen. «Der Arbeitskampf in der Stahlindustrie […] endete gemessen am Ziel des Einstiegs in die 35-Stunden-Woche mit einer Niederlage. Festgeschrieben wurden die gültigen Arbeitszeitregelungen auf weitere 5 Jahre.

Streik IG Druck und Papier 1984

Zwischen dem 12. April und dem 5. Juli 1984 führte die IG Druck und Papier einen 13-wöchigen Streik zur Einführung der 35-Stunden-Woche durch. Während die IG Druck und Papier die Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich forderte, wollte der Bundesverband Druck (BVD) die 40-Stunden-Woche bis zum 31. Dezember 1987 festschreiben lassen.

Von Anfang an rechnete die IG Druck und Papier damit, dass ihr Streik nicht vor dem Arbeitskampf der IG Metall beendet werden würde. Sie versuchte zudem, Aussperrungsmaßnahmen von Unternehmerseite nach Möglichkeit zu verhindern. Aus diesen Gründen setzte sie nach den Worten ihres Vorsitzenden Erwin Ferlemann auf eine «flexible Arbeitskampfführung».

Kurt Biedenkopf, der am 3. Juni 1984 von beiden Tarifparteien benannte Schlichter, scheiterte am 21. Juni mit seinem Einigungsvorschlag am Widerstand des Bundesverbandes Druck. Das am 30. Juni unterbreitete Unternehmerangebot, den Schlichtungsspruch aus der Metallindustrie zu übernehmen, lehnte wiederum die IG Druck und Papier ab. «Für die Druckindustrie sollte die Arbeitszeit für jeden Beschäftigten und nicht nur im Durchschnitt des einzelnen Betriebs verkürzt werden.» Zwar konnte eine individuelle Verkürzung der Arbeitszeit in der Tarifeinigung tatsächlich durchgesetzt werden. Auch das Unternehmerdogma der 40-Stunden-Woche wurde gebrochen. Anstelle von 35 Stunden mussten die Beschäftigten der Druckindustrie fortan aber immer noch 38,5 Stunden arbeiten. Außerdem sah der Tarifvertrag, dem am 12. Juli 1984 60,8 % von 52.388 Mitgliedern der IG Druck und Papier zustimmten, eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten vor.

Streik in der Metallindustrie 1984

Zwischen dem 14. Mai 1984 und dem 4. Juli 1984 streikten die Arbeiter der baden-württembergischen und hessischen Metallindustrie für die Einführung der 35-Stunden-Woche. Zuvor waren mehrmonatige Tarifverhandlungen sowie Spitzengespräche zwischen Gewerkschaften und Unternehmern ohne Einigung verlaufen. Der Unternehmerverband Gesamtmetall lehnte verkürzte Wochenarbeitszeiten ab und schlug stattdessen eine Flexibilisierung der Arbeitszeit vor. Zu diesem Zweck sollten u.a. die Teilzeitarbeit ausgedehnt und Vorruhestandsregelungen für ausgewählte Geburtsjahrgänge eingeführt werden. Die Gewerkschaften deuteten zwar ein Entgegenkommen in der Frage der Arbeitszeitflexibilisierung an, beharrten aber auch einem Einstieg in die 35-Stunden-Woche. Zur Bekräftigung ihrer Gegenpositionen führte die Gewerkschaft ab dem 12. März 1984 bundesweit Warnstreiks durch, an denen sich 367.000 Beschäftigte beteiligten. Am 25. April 1985 erklärte die IG Metall die Tarifverhandlungen offiziell für gescheitert und leitete in den Tarifbezirken Nordwürttemberg/Nordbaden und Hessen Urabstimmungen ein. Über 80 % der Gewerkschaftsmitglieder sprachen sich für die Aufnahme eines Arbeitskampfes aus.

Unmittelbar nach Beginn des Streiks kündigten die Unternehmer Aussperrungen an. Auf dem Höhepunkt des Streiks legten 57.500 Mitglieder der IG Metall die Arbeit nieder. 147.000 Metallarbeiter waren nach Unternehmerangaben von «heißen» Abwehraussperrungen betroffen, 396.000 weitere Beschäftigte von «kalter Aussperrung». Die IG Metall verfolgte die Streiktaktik, mit möglichst geringem Aufwand möglichst großen Druck auf die Metallindustriellen auszuüben («Mini-Max»). Umgekehrt war der Unternehmerverband daran interessiert, den Streik durch Aussperrungsmaßnahmen für die Gewerkschaft möglichst schnell zu kostspielig werden zu lassen.

Besonders wirkungsvoll war die Begleitung der Tarifauseinandersetzungen durch Massenaktionen in der Bevölkerung zur Unterstützung der Forderung der streikenden ArbeiterInnen, durch breite Unterstützung kulturschaffender Menschen und ein breites Echo in den Medien. Linke Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen und Sozial- sowie Jugendverbände stellten eine breite solidarische Öffentlichkeit her.

Nachdem die Tarifparteien das Scheitern der freien Verhandlungen festgestellt hatten, einigten sie sich auf das Verfahren der besonderen Schlichtung und auf den ehemaligen Verteidigungsminister und Gewerkschaftsvorsitzenden Georg Leber und den Konstanzer Arbeitsrechtler Bernd Rüthers als Schlichter. Unter ihrem Einfluss kristallisierte sich eine Kompromisslinie im Arbeitskampf heraus, der zufolge die IG Metall-Forderung nach einer allgemeinen Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit der Gesamtmetall-Forderung nach einer betrieblichen Flexibilisierung der Regelarbeitszeit verknüpft werden sollte. Der Einigungsvorschlag sah vor, die Wochenarbeitszeit im betrieblichen Durchschnitt auf 38,5 Stunden zu verkürzen. In einer Spanne zwischen 37 und 40 Stunden sollte diese Wochenarbeitszeit flexibel auf die Beschäftigten verteilt werden können. Sowohl der Gesamtmetall-Vorstand als auch die große Tarifkommission der IG Metall stimmten diesem Schlichtungsspruch zu.

Weitere Tarifauseinandersetzungen um
die Einführung der 35-Stunden-Woche

Im Umfeld der Streikauseinandersetzungen um die 35-Stunden-Woche wurden 1984 noch in einer Reihe weiterer Branchen Tarifabschlüsse mit Auswirkungen auf die Wochenarbeitszeit erzielt. Ohne einen Arbeitskampf wurden noch vor dem Ende des Arbeitskampfes in der Metallindustrie ein Tarifabschluss in der Holz- und Kunststoff-verarbeitenden Industrie von Rheinland-Pfalz erzielt, der eine Wochenarbeitszeitverkürzung mit einer erheblichen Flexibilisierung der betrieblichen Arbeitszeiten verknüpfte. Im Oktober 1984 wurde in der nordrhein-westfälischen Stahlindustrie die 38-Stunden-Woche eingeführt, ohne dass Arbeitszeitflexibilisierungen über das bis dahin übliche Maß hinaus vereinbart worden wären.

Im Groß- und Einzelhandel wurde die 38,5-Stunden-Woche in 1986 eingeführt, in der Papierverarbeitung und im Metallhandwerk in 1986 bzw. 1987. Im Bank- und Versicherungsgewerbe galt ebenfalls ab dem 1. Januar 1987 die 38,75-Stunden-Woche.

Damit galten im Jahr 1987 für fast die Hälfte aller von DGB-Tarifverträgen begünstigten Beschäftigten Regelarbeitszeiten von unter 40 Wochenstunden.

1987 erreichten die Gewerkschaften in der Metall- und Druckindustrie in einem zweiten Schritt eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 37 Stunden.

1990 erzielten die Tarifparteien in der Metall- und Druckindustrie eine Einigung hinsichtlich der schrittweisen Einführung der 35-Stunden-Woche bis 1995.

2003 können die Beschäftigten der ostdeutschen Stahlindustrie einen Stufenplan für die 35-Stunden-Woche durchsetzen. Der wochenlange Streik für kürzere Arbeitszeiten in der Metall- und Elektroindustrie im Osten endet nach vier Wochen mit einer herben Niederlage. Dort arbeiten die Beschäftigten immer noch 38 Stunden in der Woche.

Dieser fehlgeschlagene Streik war auch dem Umstand zu verdanken, dass es bereits im Vorfeld zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem streikbefürwortendem 1. Vorsitzenden Jürgen Peters und seinem Stellvertreter und designierten Nachfolger Berthold Huber kam. Letzterer sprach sich kritisch zu Streikmaßnahmen aus und äußerte dies auch im Verbund mit maßgeblichen sozialpartnerschaftlichen Betriebsratsgrößen im Automobilbereich z.B. von Daimler, VW und Opel. Die Folge war ein herber Vertrauensverlust unter den kämpfenden KollegInnen in den neuen Bundesländern und ein öffentliches Loblied der Wirtschaftsmedien und der politischen Verantwortlichen in SPD, CDU und FDP zugunsten des «Modernisierers und Co- Managers» Berthold Huber. Jürgen Peters wurde als «Traditionalist» verächtlich gemacht, der Streik als wenig sinnvoll verunglimpft.

Mehr und mehr wurde das Loblied auf die «Sozialpartnerschaft» und das «Co-Management» gesungen. Ausgeblendet wurde dabei die Tatsache, dass wir in einer Klassengesellschaft leben, deren Wesen sich nur durch kollektiven Widerstand der Kolleginnen und Kollegen bekämpfen lässt. Besonders deutlich wurde dass durch die Verurteilung des einst durch VW und IG Metall aufs Schild gehobenen Vorsitzenden des VW-Gesamtbetriebsrates Klaus Volkert. Er stolperte über massive Bestechungsvorwürfe und seine zu große Nähe zum VW-Vorstand. War er bislang hilfreich bei Lohnverzicht (Konzept zur Beschäftigungssicherung bei VW) und Tarifunterschreitung (Projekt 5000x5000) im Einvernehmen zwischen IG Metall und VW, stürzte er jetzt bei beiden jäh und wurde rechtskräftig in 2006 zu einer Haftstrafe verurteilt.

Nunmehr gelten seit 1995 in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie damit die 35 Stunden. Soweit die Theorie. Denn in der Praxis haben heute 45 Prozent der Beschäftigten der Branche einen Vertrag, der eine längere Arbeitszeit vorsieht. Ein knappes Viertel arbeitet gar 40 Stunden oder länger. Aber auch im 35-Stunden-Flächentarif arbeiten heute mehr als drei von zehn Beschäftigten länger als 35 Stunden.Das zeigt die aktuelle Beschäftigtenbefragung zum Thema Arbeitszeit,

Der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann führt dies unter anderem auf Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen zurück, die die Unternehmen verstärkt in Anspruch nehmen. So kann etwa die Arbeitszeit mit Zustimmung des Arbeitnehmers auf bis zu 40 Stunden ausgedehnt werden, im Regelfall allerdings maximal für 18 Prozent der Beschäftigten eines Betriebs.

Hervorzuheben sind besonders der gemeinsame Entgeltrahmen-Tarifvertrag für Arbeiter und Angestellte (ERA-TV) 2003 und das «Pforzheimer Abkommen» 2004, das zur Absicherung von Beschäftigung und Investitionen befristete Abweichungen vom Tarifvertrag möglich macht.

Im Zuge des Pforzheimer Abkommens wurden 2004 von der IG Metall Baden-Württemberg und Südwestmetall Regelungen für den Prozess der Abweichung von Tarifverträgen (Öffnungsklauseln) eingeführt. Die vereinbarten Eckpunkte sollen Druck von den Beschäftigten und den Betriebsräten nehmen und eine «kontrollierte Dezentralisierung» ermöglichen.

Diese von vielen als Aufweichung der 35-Stunden-Woche angesehene Vereinbarung wurde damals maßgeblich mit erarbeitet von Jörg Hofmann, dem heutigen 1. Vorsitzenden der IG Metall. Und immer wieder grüßt die «Sozialpartnerschaft».....

An vielen Ecken sei es den Arbeitgebern in den letzten Jahren gelungen, «unsere erfolgreiche Arbeitszeitpolitik der Arbeitszeitverkürzung» durch «Mehrarbeits-, Schicht- und Wochenendzuschläge aufzuweichen», kritisiert IG Metall-Chef Jörg Hofmann. Und spricht gleichzeitig einen wunden Punkt an. Denn die Mehrarbeit zahlt sich für die Metaller im Portemonnaie aus. Das ist auch ein Grund dafür, dass die tatsächlich geleistete Arbeitszeit teils deutlich über die vertraglich vereinbarte hinausgeht.

Die Befragung der IG Metall zeigt aber auch, dass sieben von zehn und damit eine deutliche Mehrheit der Beschäftigten mit ihrer Arbeitszeit zufrieden sind – vor allem in Unternehmen, in denen Tarifverträge gelten. Für Unmut sorgen neben überlangen Arbeitszeiten vor allem regelmäßige Wochenendarbeit oder unvorhergesehene Schichtwechsel. Planbare Arbeitszeiten tragen entscheidend mit zur Zufriedenheit der Beschäftigten bei, wie auch die Möglichkeit, kurzfristig für ein paar Stunden zu gehen, um zum Beispiel das kranke Kind aus der Kita abzuholen.

Die befragten Metaller setzen dabei vor allem auf eine Umverteilung des Arbeitsvolumens entlang des Lebensverlaufs – also die Möglichkeit, etwa für Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen zeitweise beruflich kürzer zu treten. Für mehr als 8 von 10 Befragten ist dabei ein Entgeltausgleich wichtig. Eine allgemeine Verkürzung der Wochenarbeitszeit hat dagegen für eine knappe Mehrheit der Befragten keine Priorität, wenn sie mit Geldverzicht verbunden wäre.

Für Gewerkschafter Hofmann soll die hart erkämpfte 35-Stunden-Woche auch künftig die Richtschnur bleiben. Denn für immerhin knapp die Hälfte der Beschäftigten spiegle sie die Wunscharbeitszeit wider. Ein Fünftel der Metaller würde gerne kürzer arbeiten, immerhin ein Drittel wünscht sich aber mehr Wochenstunden – auch, um das Gehalt aufzubessern. Auch ihnen will Hofmann entgegenkommen. Derzeit arbeiteten vor allem vermeintliche «Leistungsträger» länger als 35 Stunden, während das «Fußvolk» das Nachsehen habe, kritisiert der IG Metall-Chef. Die Entscheidung über Arbeitszeit dürfe deshalb nicht länger den Arbeitgebern überlassen werden.

Entgelte

Die IG Metall fordert für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie eine Erhöhung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen von 6 Prozent für eine Laufzeit von 12 Monaten. Zudem will die IG Metall einen individuellen Anspruch auf Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten durchsetzen. Die Forderung der IG Metall zur Arbeitszeit sieht vor, dass die Beschäftigten ihre regelmäßige Arbeitszeit künftig für bis zu zwei Jahren auf bis zu 28 Stunden in der Woche reduzieren können. Danach besteht der Anspruch, auf die ursprüngliche Arbeitszeit zurückzukehren. Dies soll für alle Tarifgebiete in West- und Ostdeutschland gelten.

Entgeltzuschuss für Familie und Gesundheit

Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit reduzieren, um Kinder unter 14 Jahren im Haushalt zu betreuen oder Familienangehörige zu pflegen, sollen einen fixen Zuschuss von 200 Euro pro Monat von ihrem Arbeitgeber erhalten.

Beschäftigte in Schichtarbeit oder anderen gesundheitlich belastenden Arbeitszeitmodellen, die ihre Wahloption nutzen und ihre Arbeitszeit verkürzen, sollen ebenfalls einen Entgeltzuschuss erhalten. Er soll bei 750 Euro im Jahr liegen. «Damit wird auch für weniger gut Verdienende die Arbeitszeitreduzierung eine reale Option», meinte Hofmann. 750:12= € 62,50 monatlich...

IG Metall will über Personalausgleich und Angleichung Ost «reden»

Neben der Forderung zu Entgelt und Arbeitszeit will die IG Metall auch folgende Themen in den Verhandlungen ansprechen:

Die Reduzierung der Arbeitszeit von Beschäftigten darf nicht zu mehr Leistungsdruck führen, indem die übrigen Beschäftigten ihre Arbeit zusätzlich miterledigen müssen. Daher soll in den Verhandlungen mit den Arbeitgebern über Regelungen zum Personalausgleich gesprochen werden.Es soll zudem erreicht werden, dass die Auszubildenden und dual Studierenden zur Vorbereitung auf Prüfungen einen bezahlten freien Tag vor jeder Prüfung erhalten.

Für die ostdeutschen Tarifgebiete will die IG Metall lediglich eine belastbare Verhandlungsverpflichtung für einen Prozess zur Angleichung der Entgelte, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen erreichen.

Die Verhandlungen mit den Arbeitgebern starteten ab dem 15./16. November in den regionalen Tarifgebieten der Metall- und Elektroindustrie. Die Tarifverträge sowie die Friedenspflicht laufen am 31. Dezember 2017 aus. Ab dem 1. Januar 2018 wurden dann Warnstreiks möglich.

Großer Wurf oder «Der Berg kreißte und gebar eine Maus»?

Auf einer Tagung von gewerkschaftlichen haupt- und ehrenamtlichen Bildungsreferenten Anfang 2017 zum Thema «Arbeitszeitkampagne» in Sprockhövel wurde kontrovers über die Frage einer weiteren Verkürzung der Wochenarbeitszeit in Richtung einer generellen 30-Stunden-Woche diskutiert. Begleitet wurden dies auch durch die Forderung nach einer unmittelbaren Umsetzung der bestehenden 35-Stunden-Woche in allen Gewerken der IG Metall in Ost und West. Schließlich gilt auch diese Regelung vorwiegend nur in der Elektro- und MetallIndustrie.

Mehrheitliche Teile der Mitglieder finden sich jedoch in anderen Metall-Gewerken wieder, die abweichende und höhere Wochenarbeitszeiten haben. Beispiel: KFZ-Handwerk mit einer Vielzahl von kleineren und mittleren Betrieben, teilweise wegen Tarifflucht der Arbeitgeber ohne Tarifvertragsbindung oder mit unzureichenden Haustarifverträgen. In diesem Tarifbereich gilt laut weiter wirkendem Manteltarifvertrag bestenfalls die 36-Stunden-Woche.

In den neuen Bundesländern ist weiterhin die 38-Stunden-Woche die (theoretische) Norm und durch zahlreiche Haustarifverträge, Sanierungstarifverträge, Verträge zur Sicherung von Beschäftigung und Investition etc. wurden selbst die bestehenden Absicherungen zur Arbeitszeitverkürzung aufgeweicht (siehe «Pforzheimer Abkommen»).

Selbst anwesende VertreterInnen des Hauptvorstandes der IG Metall mussten auf dieser Tagung zugeben, dass die IGM seit Mitte der Neunziger die «Lufthoheit» über die Frage der Arbeitszeit verloren hat. Statt dessen standen vor allem Fragen der Einkommenszuwächse, eines einheitlichen Entgeltrahmentarifwerks für Arbeiter und Angestellte,Gestaltungen Altersteilzeit, betriebliche Altersvorsorge, Gestaltungen von Rufbereitschaften etc. im Vordergrund der Tarifverhandlungen.

Einer von TeilnehmerInnen geäußerten Forderung nach Kündigung der geltenden Manteltarifverträge zur Arbeitszeit und damit verbundener Tarifforderungen nach einer kollektiven 30-Stunden-Woche (gfls. im Stufenplan über 32 Stunden) wurde eine Abfuhr erteilt. Laut einer bereits in 2013 erstmalig durchgeführten Arbeitnehmerbefragung zur Folge (der dann in 2017 eine weitere folgte) würde die Mehrzahl der befragten Arbeitnehmerinnen mit der derzeitigen Stundenanzahl zufrieden sein. Dieses ist auch kein Wunder, wurde die Frage nach einer weiteren Arbeitszeitverkürzung doch nicht im Zusammenhang mit einem vollen Entgeltausgleich gestellt, sondern in Beziehung zu einem möglichen (teilweisen) Abbau von Entgeltanteilen formuliert.

Zudem verwies man auf die offensichtlich «traumatischen» Erfahrungen mit dem Abbröckeln der Streikbereitschaft im Zuge der Auseinandersetzungen um die Arbeitszeitanpassung «Ost» in 2003 und die Gefahr der Verschlechterung von Manteltarifverträgen bei deren Kündigung (obwohl in diesem Fall alte Manteltarifverträge bis zum Abschluss eines neuen vollumfänglich weitergelten).

Auf Basis der Beschäftigtenbefragung entschied sich die IG Metall daher, die 35-Stunden-Woche nicht in Frage zu stellen, sondern die negativen Auswirkungen von Wochenend-, Schicht-, Nacht- und Mehrarbeit auf Individuum, Gesundheit, Familie und Beruf stärker in den Vordergrund zu stellen und mittels der bereits genannten Forderungen anzugehen. Flankiert wurde das Ganze durch eine relativ hohe Forderung nach Entgeltzuwächsen von 6%.

Letztere waren für die Kolleginnen und Kollegen vor allem attraktiv, während nicht wenige unzufrieden sind mit den Regelungen zur Verkürzung der Arbeitszeit, weil diese vorrangig bestimmte Gruppen trifft, entgeltmäßig zu schwach abgefedert wird und eine restriktive Befristung enthält.

Selbst die Angleichung der Arbeitszeiten zwischen Ost und West auf Basis einer 35-Stunden-Woche bei vollem Entgeltausgleich finden sich nur als Forderung nach einer (künftigen) belastbaren Verhandlungszusage seitens der Arbeitgeber wieder, nicht jedoch als Sofortmaßnahme.

Festzuhalten bleibt daher:

  • Eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über eine Verkürzung der Arbeitszeiten – vergleichbar zu der in den 80ern – bleibt weitestgehend aus. Vielmehr scheint eine breite Öffentlichkeit die Kampagne derzeit nicht gerade vorrangig zur Kenntnis zu nehmen.
  • Die diesjährigen Forderungen der IG Metall sind durchaus berechtigt und für sich gesehen positiv, aber leider nur auf die Behandlung einiger Symptome der derzeitigen negativen Auswirkung der Arbeitszeiten ausgerichtet.
  • Der «Wildwuchs» von abweichenden Tarifverträgen und Vereinbarungen wird damit nicht ausreichend berührt. Eine Ost/West-Angleichung ist weiterhin Zukunftsmusik.
  • Die Eingangsforderung nach überschaubarem anteiligen Entgeltausgleich für eine auf zwei Jahre maximal befristete Reduzierung der Arbeitszeit ist sehr gering. Ein voller Entgeltausgleich sollte weiterhin – wie in den 80ern – Kernforderung bleiben.
  • Eine positive Auswirkung auf den Bestand und Zuwachs von Arbeitsplätzen ist marginal.
  • Einer zu erwartenden heftigen Vernichtung von Arbeitsplätzen im Zuge der Digitalisierung wird damit kaum Einhalt geboten. Schon jetzt sind ca. 5 Millionen Arbeitsplätze in Gefahr.
  • Die «Systemfrage» über eine selbstbestimmte Ausrichtung von Lebens- und Arbeitszeit wird nicht gestellt. Die Oberhoheit haben weiterhin die Arbeitgeber, der Investitionsstandort Deutschland bleibt der entscheidende Gradmesser. Kosmetik ersetzt Veränderung.
  • Eine gesetzliche Regelung kürzerer Arbeitszeiten zur Flankierung bleibt eine Utopie. Die gesetzliche Arbeitszeit sieht weiterhin einen 8-Stunden-Tag bei 6 Werktagen vor, das heißt bis zu 48 Stunden in der Woche. Dies ist der aktuelle Stand des Arbeitszeitgesetzes.

Wir KommunistInnen unterstützen selbstverständlich den Kampf der Gewerkschaften um jegliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Allerdings sehen wir nicht unkritisch zu, wenn Verantwortliche in den Gewerkschaften Elan vermissen lassen, um im Zeichen ihrer Verbundenheit zur weitestgehend neoliberal geprägten CDU/SPD eine falsche Politik der den Klassen- und Interessengegensatz negierenden Sozialpartnerschaft zu betreiben.

Bis zum 30.01.2018 kämpften fast eine Million Kolleginnen und Kollegen für den Einstieg in die weitere Verkürzung der Arbeitszeiten durch stundenweise Warnstreiks. Ganztägige Warnstreiks in der Fläche folgten, eine halbe Million Beschäftigte zeigten hier in den folgenden Tagen bewundernswerte Kampfbereitschaft.

Eine machtvolle Manifestation, deren Schwung ausgereicht hätte, auch über das Niveau der letztendlich erreichten Ergebnisse hinaus zu gehen. Voraussetzungen für Urabstimmungen und unbefristete Streiks wurden offensichtlich voll erfüllt, aber leider nicht wahrgenommen.

Aber auch wir sind gefordert, eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über eine emanzipatorische, selbstbestimmte Arbeitszeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu führen. Lebenszeit muss genügend Platz lassen für Teilhabe am kulturellen Leben, persönliche Bildung, Reproduktion und gesellschaftlich verantwortungsvolle und nützliche Arbeit! Arbeitszeit ist Lebenszeit und als solche nicht nur einseitig als Erwerbsarbeit definierbar.

Es gilt weiterhin das von den kämpferischen IG Metall-Frauen formulierte Motto von 1984, als es um die 35-Stunden-Woche ging. Lasst uns diese Losung wieder mit Leben füllen:

«Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen, Lernen!»

 


Nachbetrachtung zum Abschluss in
Baden-Württemberg vom 06.02.2018

Die «Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken» (gegründet von ca.100 hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären vor allem der IGM in 10/2017) hat eine Einschätzung der aktuellen Abschlüsse in der Elektro-/Metallindustrie im Rahmen ihrer Erklärung «Für eine kämpfende Gewerkschaft» wie folgt auf den Punkt gebracht:

In der oberflächlichen Betrachtung des jüngsten IG Metall-Tarifabschlusses durch die Medien wird ein vollkommen falsches Bild der realen Auswirkungen gezeichnet. Auf das Jahr umgerechnet bringt der Abschluss etwa eine 3,5-prozentige Erhöhung der Entgelte. Das deckt gerade mal die Teuerungsrate und einen Teil des Produktivitätsfortschritts ab.

Bei einer befristeten Arbeitszeitabsenkung auf bis zu 28 Stunden gibt es überhaupt keinen Lohnausgleich, nur den Anspruch auf die Absenkung und die Zusage, danach wieder auf die vorherige Arbeitszeit zurückkehren zu können. Faktisch ist dies eine Abkehr vom Ziel des Lohnausgleichs und ein schlechtes Signal für die künftige Tarifpolitik.

Nur wenn das Tarifliche Zusatzgeld (T-ZuG) in Höhe von 27,5 Prozent eines Monatseinkommens in Zeit umgewandelt wird, was nur wegen Kinderbetreuung, Pflege oder Schichtarbeit überhaupt geht, werden zwei Tage mehr gewährt, als die 27,5 Prozent wert sind, nämlich acht statt sechs freie Tage. Also ein ganz kleines Zückerchen für diese drei Beschäftigtengruppen.

Auch sonst wird der neue Vertrag in keiner Weise den objektiven Herausforderungen gerecht, sondern öffnet dem Kapital weitere Türen für eine Differenzierung der Beschäftigtengruppen: In dem Maße, wie einzelne Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeitszeit verkürzen, kann die Unternehmensleitung andere länger arbeiten lassen. Die Quoten derjenigen, die länger als 35 Stunden arbeiten, können erhöht werden von 13 Prozent (bzw. 18 Prozent in Baden-Württemberg) bis auf 30 Prozent per Betriebsvereinbarung, wenn ein Fachkräftemangel nachgewiesen werden kann, und auf 50 Prozent («Strukturquote») für Technologiebetriebe.

Mit dem Modell des «kollektiven betrieblichen Arbeitszeitvolumens» kann die Geschäftsleitung für jeden Teilzeitbeschäftigten mit anderen Kolleginnen und Kollegen eine Verlängerung auf 40 Stunden vereinbaren. Dafür wird der Chef schon genügend Schwache oder Erpressbare finden. Wenn demnach eine Kollegin auf 20 Stunden reduziert, können die Arbeitsverträge von drei anderen auf 40 Stunden verlängert werden. Im Resultat findet also überhaupt keine Verkürzung der Arbeitszeit der Gesamtbelegschaft statt, sie wird nur anders verteilt. Nicht umsonst sagte der Verhandlungsführer für Südwestmetall, Stefan Wolf: «Wir haben sehr viel bekommen, nämlich sehr viel Öffnung bei den Arbeitszeiten nach oben.»

Wolfgang Berlin
Foto: Klaus Stein


Die gesamte Erklärung «Für eine kämpfende Gewerkschaft» kann in der «Junge Welt» vom 14.02.2018, Seite 12 oder unter folgendem Link nachgelesen werden:

https://www.jungewelt.de/m/artikel/327264.f%C3%BCr-eine-k%C3%A4mpfende-gewerkschaft.html