Politik

ZDFzoom: Auf der Spur des rechten Terrors

 Collage: Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe.

Blutspur durch Deutschland


Die sieben Geheimnisse des NSU – Film von Rainer Fromm

Der «Nationalsozialistische Untergrund» zieht eine Blutspur durch Deutschland. Seit fünf Jahren verhandelt das Münchner Oberlandesgericht die Verbrechen des Zwickauer Trios.

Wie groß war der NSU wirklich? Und welche Rolle spielte der Staat? «ZDFzoom» dokumentiert die sieben bedeutendsten Geheimnisse des NSU. Die offizielle Annahme der Alleintäterschaft von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ist dabei die zentrale Frage.

Denn es gibt Auffälligkeiten und Besonderheiten. Waren die drei wirklich in der Lage, Tatorte und Opfer in der ganzen Bundesrepublik allein auszuspähen? Waren wirklich nur sie die Schuldigen an den willkürlichen und systematisch wiederholten Angriffen, von denen die Anklage spricht?

Für Opferanwalt Yavuz Narin steht nach fünf langen Prozessjahren fest: «Die These der Bundesanwaltschaft, dass der NSU völlig losgelöst von Helfern von potenziellen Mittätern gemordet habe, gilt als widerlegt.»

Und die Kritik scheint berechtigt. An mehreren Tatorten von NSU-Morden gibt es Hinweise auf lokale Unterstützung für Mundlos und Böhnhardt. Wie in Rostock. 2004 wird hier der 25 Jahre alte Türke Mehmet Turgut mit drei Kopfschüssen getötet. Heute erinnert ein Denkmal an die Tat. Turgut war zu Besuch bei einem Freund, für den er spontan in einem Döner-Imbiss aushilft. Der Besitzer hatte schon vorher Ärger mit Rechtsextremen, die in unmittelbarer Nähe wohnten.

Todesliste

Im Brandschutt der Wohnung des Trios finden die Beamten Computerdateien und Ausspähunterlagen. Die sogenannte Todesliste des NSU. Sie zeigt zehntausend mögliche Anschlagsziele, die über Jahre hinweg zusammengetragen wurden – in ganz Deutschland. Darunter Namen und Adressen von Polizeibeamten, Staatsanwälten, demokratischen Parteien, multikulturellen Einrichtungen. Auf der Liste findet sich auch die Scharrer-Straße in Nürnberg. Hier wird der Imbissbesitzer Ismael Yassr ermordet. Auffällig viele exakte Ausspähnotizen gibt es aus Dortmund, einer Stadt mit vergleichsweise vielen Rechtsextremisten. Hier war unter anderem ein sozialdemokratischer Politiker ins Visier der Rechtsterroristen geraten.

Eine der größten ungelösten Fragen ist der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Sie wird auf der Theresienwiese in Heilbronn – am 27. April 2007 um 14:00 Uhr, am helllichten Tag – ermordet. Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, ein Nebenkläger im NSU-Prozess äußert Zweifel: «Ein großes Rätsel bleibt der Mord an Michèle Kiesewetter und der versuchte Mord an ihrem Kollegen. Das Motiv, was der Generalbundesanwalt annimmt, nämlich der Hass gegen den Staat und das, was Beate Zschäpe angibt, nämlich das schlichte Rauben von zwei Polizeipistolen, das ist beides unglaubwürdig.»

«ZDFzoom»-Recherchen weisen in eine andere Richtung. Die Ermordung der Polizistin könnte ein Racheakt rechter Kreise aus dem Rotlichtmilieu sein. Sicher ist: Michèle Kiesewetter wird nicht mit derselben Waffe getötet wie die anderen NSU-Opfer. Außerdem ist auffällig, dass der Tathergang für Profitäter spricht. Schüsse von beiden Seiten in ein Auto. Für ungeübte Schützen ein hohes Risiko.

Für die Bundesanwaltschaft scheint jedoch der Fall geklärt. Michèle Kiesewetter wird in der Anklageschrift zum Zufallsopfer des NSU. Die Anklage sieht keinerlei Anhaltspunkte, dass mehr als zwei Personen an der Tat beteiligt waren. Und das, obwohl mehrere Zeugen Phantombilder liefern, die bemerkenswert wenig Ähnlichkeit mit Böhnhardt und Mundlos haben.

V-Leute

Eine der großen ungeklärten Fragen ist die Rolle der V-Leute und der verschiedenen Verfassungsschutzämter. Obwohl der NSU von dreißig V-Männern umgeben war, konnte er offensichtlich ungehindert morden.

Die beiden Haupttäter sind tot und können nicht mehr vernommen werden. Ihre mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe hüllte sich vor Gericht lange in Schweigen, ließ ihre Anwälte sprechen. Erst am Schluss meldete sich Frau Zschäpe in einer fünf-minütigen Erklärung zu Wort. An die Adresse der Opferfamilien sagte sie: «Ich bin ein mitfühlender Mensch und habe sehr wohl den Schmerz, die Verzweiflung und die Wut der Angehörigen sehen und spüren können.» Weiter führte sie aus, sie habe mit den Morden nichts zu tun gehabt. Wörtlich «Ich hatte und ich habe keinerlei Kenntnisse darüber.» Von der rechtsradikalen Gesinnung distanzierte sie sich. Sie habe für sich entschieden, dass rechtes Gedankengut für sie keinerlei Bedeutung mehr hat.

Die «ZDFzoom»-Dokumentation zeigt Ermittlungspannen und Interessenskonflikte der Behörden und stellt die Frage nach unerkannten Mittätern. Wo enden Fakten – wo beginnen Mythen? Die Akte NSU ist noch lange nicht geschlossen.

Gesendet: 11.07.2018 | 44 min | Deutschland 2018 | Kamera: Frank Reimann

Text und Bild: zdf.de