Köln

«Demokratie schützen, AFD bekämpfen» Großdemo gegen AFD

Fahrlässiger Kommentar des Kölner Stadt-Anzeigers fördert die AFD

«Demokratie schützen, AFD bekämpfen» Großdemo gegen AFD Foto mit einem Transparent der DKP «Unser Köln ist bunt!».
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Großdemo in Köln gegen die AFD vom 21. Januar: Fahrlässiger Kommentar des Kölner Stadt-Anzeigers fördert die AFD

Es muss ein ziemlicher Schock gewesen sein, das «Geheimtreffen» vom 26.11.23 in Potsdam mit der offen geäußerten Agenda zum Umgang mit nichtweißen Nichtbiodeutschen. Aber es sind wohl nicht nur diese Pläne – sondern vor allem damit im Zusammenhang die reale Gefahr durch eine – zumindest in Teilen – nicht mehr nur rechtspopulistische, sondern rechtsextreme, offen faschistischen Partei, die demnächst auch die Regierungsgeschäfte in einzelnen Bundesländern übernehmen könnte.

Für breite Mittelschichten heißt das wohl erstmals: mein eigenes Leben ist betroffen, wenn die Pläne durchgehen sollten. Meine eigene Art, mein Leben zu gestalten, ist bedroht, wenn das nicht gestoppt wird.

Migration ist dabei ein festes Moment im Zusammenleben auch breiter Mittelschichten, sie ist völlig selbstverständlich. Binationale Ehen sind längst nichts exotisches mehr; es gibt die netten Kollegen im Betrieb mit Migrationshintergrund, die Schwägerin aus Sri Lanka, mit der man regelmäßig telefoniert, die türkischen Spielkameraden der eigenen Kinder, den Kellner «beim Italiener», den man schon seit Jahren gern im Restaurant begrüßt, der Kardiologe aus Ägypten, dem man vertraut oder die nette Nigerianerin, die schwarz die abbezahlte Etagenwohnung der allein erziehenden Business Developerin putzt. Zwischen das vegane Dinkel-Biobrot und das fair produzierte Lastenfahrrad mit CO2-Abgabe passt auch Migration im Veedel. Alles hat natürlich seine Grenzen: das Grenzregime der SPDGrünCDUCSUFDP mit anvisierten Lagern an den Außengrenzen, das Ertrinken im Mittelmeer wird akzeptiert – bedroht ja auch nicht den eigenen Lebensstil, im Gegenteil, soll diesen ja sichern.

Aber ja, hier ist es natürlich dennoch auch der Gedanke an die eigene deutsche Geschichte, der mobilisiert. Vor diesem Hintergrund scheint denn auch die Vorstellung von «Deportation» so monströs, so sehr irre und so sehr Ausdruck einer kriminellen politischen Psychopathie – und damit auch so jenseits allem Vorstellbaren, dass es einfach moblisierend wirken muss.

Am Sonntag, den 21. Januar kam es nun erneut zu einer Großdemonstration in Köln gegen die Vertreibungs- und Deportationspläne von Rechtsradikalen, diesmal am Deutzer Rheinufer. Auch einige Genossen und Genossinnen der DKP waren mit dabei. Dichtgedrängt ging es vom Heumarkt für uns mit unseren Transparenten und Flugblättern über die Deutzer Brücke nach Deutz rüber. Selbstgebastelte und beschriebene Papp-Plakate mit eigenen Aufschriften begegnetem einem immerzu, ebenso wie mitunter auch Sprechchöre, ja sogar Sambatrommeln meine ich gehört zu haben. Je näher man dem Deutzer Rheinufer kam, desto mehr schallten dann auch die jeweiligen Reden vom Bühnenaufbau in Deutz rüber. An der Haltestelle der Linie 7 blieben dann einige Genossen und Genossinnen mit ihren Transparenten mitten im Gedränge stehen und verteilten Flugblätter, die gut angenommen wurden. Mitunter kam es auch zu interessanten Gesprächen – wie z.B. mit einem Ortsvorsitzenden der SPD im Umland, der sich über Finanzminister Lindner von der FDP aufregte und feststellte, dass genau dessen Klientelpolitik für Besserverdienende die AFD doch stark mache. Zwischendurch dann Musik vom Bühnenbereich 'rüberschallend:

«… wat och passeht, dat eine is doch klar, dat schönste wat mer hann, schon all die lange Johr, is unser Veedel, denn he hällt ma zesamme, ejaal wat och passet, in unsrem Veedel …»

Kölsches Liedgut folgte auf kölsche Liedgut – und irgendwie ist sowieso in Köln immer Karneval, wenn's geht, und am Sonntag ging auch das. Insbesondere vorm Bühnenaufbau wurde auch gefeiert – und man feierte die eigene kölsche Art zu leben, das tolerante kölsche Understanding; hier gilt: «Jeder Jeck ist anders». Irgendwann in dem Gedränge kam mir sehr langsam der Tourbus der Kölner Band «Brings» von hinten entgegen, und der Schlagzeuger daneben mitlaufend klopfte mir freundlich von hinten auf die Schulter und bat mich, doch mein Fahrrad etwas abseits zu stellen, damit der Bus durchkommen könnte. Er machte das so freundschaftlich, als würden wir schon seit 30 Jahren jedes Wochenende gemeinsam ein Bier trinken gehen: das wird wohl das berühmte «kölsche Jeföhl» sein; man gehört zusammen, feiert zusammen und hilft sich gegenseitig.

Das «kölsche Jeföhl» ist eben das komplette Gegenteil vom rassistischen Ausschluss der Geheim- und Deportationspläne. Was wird bleiben und was geht aus von den Demonstration der Zehntausenden in Köln (und anderswo)?

Das ist die große Frage der kommenden Wochen.
Natürlich können die sogenannten Qualitätsmedien nicht ausdrücken, dass die AFD einerseits, und die SPDCDUCSUGrünenFDP andererseits, zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Damit riskiert man den eigenen Job. «Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten ... Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher», so der berühmte und in der Folge oft zitierte Kommentar des Publizisten und Antikommunisten Paul Sethe im Spiegel am 5. März 1965.

Aber die Schizophrenie ist schon erstaunlich, mit der im neoliberalen mainstream zwar zum einen von den «Protestwählern» der AFD gesprochen wird, die man zurückgewinnen kann – nicht aber zentral der Frage nach gegangen wird, worin dieser Protest besteht. Die Frage wird eigentlich inhaltlich eher ignoriert.

Der von Linksliberalen gefeierte bürgerliche Soziologe Andreas Reckwitz z.B. sieht in der Spätmoderne vermehrt «intensivierte Verlusterfahrungen» vorherrschend. Notwendige Modernisierungsprozesse und Krisen führten zu einer «Verlusteskalation»; die Fortschrittsversprechungen der Moderne dagegen seien brüchig geworden. Eine Mehrheit in der Gesellschaft gehe deshalb davon aus, dass sie in Zukunft mit einem schlechteren Lebensstandard zu rechnen hätten. (1)

Marxisten dagegen wissen, dass Krisen und ihre Folgen auf die Arbeiter- klasse abgewälzt werden. Verarmung, Spaltung, Desorganisation und Verunsicherung sind dabei ein notwendiges Produkt des Neoliberalismus und deshalb im Ausmaß nicht notwendig Folge von Krisen und erforderlichen Modernisierungsprozessen. Die Frage ist doch immer: wird die Arbeiterklasse mitgenommen oder eben nicht. Und das ist bis in die Tagespolitik nachvollziehbar, Stichwort: Heizungsgesetz. Es ist einigermaßen irre, ein solches Gesetz in das Parlament einzubringen und dabei die Bürger hinsichtlich der Bezahlung völlig allein zu lassen. Oder hier: Kindergrundsicherung. Von Sozialverbänden werden für eine wirksame Maßnahme gegen Kinderarmut ~20 Mrd.€ gefordert – veranschlagt ist das entsprechende Gesetz nun mit 2 Mrd.€; damit aber lässt sich Kinderarmut in keiner Weise reduzieren. Das Mitmachen beim Ukraine-Krieg ist eine politische Entscheidung, wie in der Folge auch die gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise und kein schicksalhaftes Krisenereignis.

Diesen an sich banalen, und schon seit vielen Jahren formulierten Einsichten kann der bürgerliche Antifaschismus nicht folgen. So auch nicht der Kommentar des Kölner Stadt-Anzeigers vom 21.01.24, wenn es dort heißt, «Sorgen und Nöte von Protestwählern» dürften «nicht völlig übergangen werden». (2)

Neoliberalismus und AFD sind 2 Seiten der gleichen Medaille – wer hier nur kosmetische Reparaturen vornehmen will, fördert nur weiterhin die AFD.

Wenn die Linke fehlt, dann beginnt – frei nach Antonio Gramsci – die Zeit der Monster. Ohne den Klassenbegriff ist der Faschismus dabei nicht fassbar: „Sofern man ’Klassen und Klassenverhältnisse einfach aus den Kategorien des Denkens und Begreifens und damit aus dem politischen Diskurs entfernt’, verhindert man damit ’noch lange nicht, dass sich all jene kollektiv im Stich gelassen fühlen, die mit den Verhältnissen hinter diesen Wörtern objektiv zu tun haben’ (Eribon 2016:122)“ (3)

Aufgabe von Kommunistinnen und Kommunisten ist es, immer wieder auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, was wir auf der Demo mit unserem Flugblatt versuchten. (4)

Jekatarina Belilowa

(1) https://www.nzz.ch/feuilleton/fortschritt-das-versprechen-der-moderne-ist-bruechig-geworden-ld.1741052
(2) https://www.ksta.de/meinung/kommentar-zur-demo-in-koeln-die-mitte-setzt-ein-zeichen-doch-das-allein-reicht-nicht-723233
(3) Klaus Dörre : Die Bundesrepublik – eine demobilisierte Klassengesellschaft in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 116, S.46
(4) «Demokratie schützen, AFD bekämpfen» - So unglaublich wichtig!


Großdemo in Köln zur AFD vom 21. Januar: fahrlässiger Kommentar des Kölner-Stadt-Anzeigers fördert die AFD