Kultur

Zu Kurt Tucholskys 75. Todestag

Der Heine der Weimarer Republik

Briefmarke im Querformat mit Tucholsky-Porträt.Die ersten Verse mancher seiner Gedichte wurden so berühmt, dass ihr Verfasser dahinter zurücktrat und sie den Charakter von Volksdichtungen bekamen: »Wenn die Igel in der Abendstunde« (1928) oder »Es wird nach einem Happy-end / im Film jewöhnlich abjeblendt«. (1930). Er selbst sah sich als Humoristen, aber auch als kampfeslustigen Streiter für Gerechtigkeit und gegen Sprachschluderei, vor allem aber als Kämpfer gegen den Krieg, alle Formen des Krieges.


Tucholskys letzter Brief an Arnold Zweig vom 15. Dezember 1935 war resignativ und voller Abschiedsstimmung; Enttäuschungen hatten sich gehäuft – er durfte in Schweden nicht arbeiten, sein Besitz war in Deutschland beschlagnahmt worden und als Autor wollte ihn in Skandinavien niemand haben. Arnold Zweig antwortete: »Wer so herrlich zu spaßen und weise zu sehen vermochte wie Sie, und alles so auf deutsch, der mag gern ausruhn wie H. Heine. Er ist ein Lebender wie er.« Als Zweig den Brief schrieb hatte Tucholsky seinem Leben mit Veronal schon ein Ende gemacht. Am Beispiel des von ihm verehrten Lichtenberg hatte er 1932 sich selbst beschrieben, wenn er erklärte, dass ein Romeo dann »feixen konnte und am allerheftigsten dann grinste, wenn er Furcht vor seinem Gefühl hatte. Satyr aus Eis.« Nun hatten ihn Furcht und Verzweiflung übermannt.


Der Vergleich mit Heinrich Heine – das trifft auch für Tucholskys Irrtümer zu, falschen Partnern zu trauen – hat sich bis heute erhalten und wird immer wieder gewählt. Wie Heine hatte auch Tucholsky frühzeitig das Exil gewählt: 1929 ging er von Frankreich nach Schweden. Aber es wurde ihm, anders als Heine, nicht zur zweiten Heimat. Auch dadurch wurde Sehnsucht eines seiner Hauptthemen. Sehnsucht suchte er in ihren verschiedenen Formen: nach Liebe und das erlebten zahlreiche Frauen, nach Frieden und das machte ihn zum entschiedenen Pazifisten, der mit seinem Satz »Soldaten sind Mörder« – aus »Der bewachte Kriegsschauplatz«, 1931, und bündelnd die Erfahrungen, die er im Ersten Weltkrieg gemacht hatte – die Gerichte bis in die Gegenwart beschäftigte. Er sehnte sich nach Demokratie und stellte, als er sie durch den Faschismus bedroht sah, die Frage: »Wie – wie wird deine Zukunft sein? / Armes Deutschland.« (An die Republikaner, 1930). Er sehnte sich nach dem treffenden Wort und der präzisen Sprache und legte sich dafür fünf Pseudonyme zu, die dem Buch »Mit 5 PS« den Titel gaben.


Tucholsky wurde 1890 in eine wohlhabende jüdische Familie Berlins hineingeboren, erfuhr eine gute Bildung und studierte Jura, schrieb seine Doktorarbeit über ein juristisches Thema und arbeitete als Bankbeamter, kurzzeitig. Denn bald siegte sein Schreibtrieb und er ging 1924 als Korrespondent für die »Weltbühne« nach Paris. Die »Weltbühne« wurde sein Schicksal, dort veröffentlichte er die meisten seiner Texte, die fast alle Gattungen betrafen. Allein die physische Leistung dieses Schreibens ist erstaunlich. Nach dem Tod des Herausgebers und Freundes Siegfried Jacobsohn wurde er der Herausgeber, nach ihm Carl von Ossietzky. Das war ein Dreigestirn des verantwortungsbewussten, pazifistisch engagierten und gegen unmenschliche Mechanismen kämpfenden Journalismus, wie er selten geworden ist.


Tucholskys Fragen an sein Land und seine Kritik an Herrschaftsformen sind aktuell geblieben bzw. wieder aktuell geworden. Das betrifft politische Kräfte ebenso wie soziale Zustände. Ist es nicht trefflich, wenn Tucholsky sagte: »Es ist ein Unglück, dass die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem 1. August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleineren Übels oder Hier können Familien Kaffe kochen oder so etwas – : vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahin gegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen.« Es wird heute auch wieder von der Regierung dieses Landes Krieg geführt, den die Mehrheit des Volkes nicht will. Die Leistungen der Soldaten soll man sogar anerkennen; von Tucholskys berühmten Satz ist keine Rede mehr. Es ist merkwürdig: Der heitere, der ironische und der unterhaltsame Tucholsky ist mit seinen Romanen (»Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte«, 1912; »Schloss Gripsholm«, 1931) und mit kessen Gedichten (»Der Humorist singt«, 1920; »Park Monceau«, 1924; »Die Redensart«, 1930), hymnischen Danksagungen (»Mutterns Hände«, 1928) und liedähnlichen Unterhaltungstexten mit Refrains wie »Und ick immer mit´n Schmidt, mitt´n mit« (»Sommerlied«, 1920) volkstümlich und bekannt geblieben, ihr Verfasser ist sogar bis zum Unterhaltungsclown des Bürgers aufgestiegen – wovor er immer Angst hatte -, aber der Warner und Mahner Tucholsky ist nicht populär geworden. Dabei haben seine Texte mit diesen Themen die gleiche sprachliche Prägnanz, die zum Sprichwort drängt: »Du, Proletarier, bist der tiefste Stein. / Auf dir wird immer feste druff getreten« (»Prophezeiung«, 1922) oder das erschütternde Gedicht »Der Graben« (1928), das beginnt: »Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen? / Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?«. Zu seinem 100.Geburtstag wurde er von der »Jungen Welt« als »Schutzpatron all derer, die die Sehnsucht treibt« bezeichnet; das war ein kluges Wort, in dem Größe und Grenzen Tucholskys gleichermaßen erkennbar sind.


Rüdiger Bernhardt

unsere zeit - Zeitung der DKP
24. Dezember 2010

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