Jugend

Sternmarsch in Solingen

Probieren, was geht: Jugendpolitik oder …

Tat­ort: Stern­marsch der Schü­le­rin­nen und Schü­ler in So­lin­gen am 29.05.2013

Kollage: Sternmarsch …

[update] Nein, kein Info­stand von der DKP, auch keiner für die SDAJ, und für die BSV war kein Ma­te­rial da. In meinem Auto der fahr­ba­re Info­stand mit Ma­te­rial der DKP, der SDAJ, kommunisten.de, ein großes rotes Kissen.

Bericht | Rede der BSV Solingen | Rede der VVN-BdA

Ich parke in der Fuß­gän­ger­zone, der Poli­zist passt aufs Auto auf – nach kur­zem Gespräch. Ich gehe einkau­fen, schwarze Schne­cken und rote Kir­schen (zur Aus­wahl), lege das rote Kis­sen auf den Info­tisch des Bol­ler­wa­gens und die Schne­cken und Kir­schen oben drauf. Mein Markt­stand ist fertig, nur noch Auf­kle­ber der SDAJ (rot, frech, radikal) und von kommunisten.de

Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer mit Transparenten und Regenschirmen.

In der Zwischen­zeit kommt der erste Demo-Zug, ich schätze, es sind so um die 800 Leh­re­rIn­nen und Schü­lerIn­nen »im Schlepp­tau« oder um­gekehrt.

Mein Markt­stand wird um­la­gert: Die Jugend­li­chen neh­men brav eine schwarze Schne­cke oder eine rote Kir­sche, den zum Kas­sen­bon um­funk­tio­nier­ten Auf­kle­ber von der SDAJ reißen sie mir aus den Hän­den. Dann kom­men einige wieder und be­schwe­ren sich, dass die »Bons« ja gar nicht kleben … Da habe ich noch die roten von kommunisten.de. Die kleben und werden um so lieber genommen.

Der zweite Demo­zug ist eben­falls ange­kom­men. Ich treffe Bet­ti­na Jür­gen­sen vom Run­den Tisch in Kiel; sie wird später eine bemer­kens­werte Rede im Auf­trag des Run­den Tischs in Kiel halten, der man durch­aus an­merkt, dass dort sie und andere Kom­mu­nis­ten seit Jahren mit­reden, mit­lernen und mit­handeln.

Lehrer und Schüler um­rin­gen mich. Ein Lehrer stellt fest, dass ich auch einen DKP-Auf­kle­ber dabei habe. (Unten im Bol­ler­wa­gen lag tat­säch­lich einer von der DKP Dres­den gegen Nazis.) Wir sind uns mit den um­ste­hen­den Schü­lern schnell einig, dass dies ja ein Markt­stand sei und nix aber auch gar nix mit Par­tei­po­li­tik zu tun habe. Dass ich Kom­mu­nist bin, tut jetzt nichts zu Sache. Sage ich zwar, aber es ist auch nicht schlimm, dass sie es jetzt wis­sen. Auch der Leh­rer stimmt dem zu. So bleibe ich mit­ten drin in der Kund­ge­bung, wäh­rend der Trupp der MLPD mit sei­nem rich­tungs­wei­sen­den Trans­pa­rent un­be­ach­tet am Rande stehen muss, hinter dem rot-weißen Flat­ter­band, das die Schüler-Ord­ner gezo­gen haben und da­rauf auf­passen.

Wir hören Inge Krämer von der VVN, ohne sie sehen zu können wegen der vielen Regen­schir­me. Wir bekom­men aber die Schwei­ge-Mi­nu­te sehr wohl mit, ob­wohl es die At­mo­sphä­re »Schul­hof hoch 6« kaum zulässt.

Nicht die Blackberry's Band spielt den Platz leer. Es ist der Regen, der die jun­gen Men­schen, vorne­weg viele Leh­rer und später auch die Farbe von der durch­ge­führ­ten Ak­tion vom Platz spült.

Ich trinke mit Genos­sIn­nen der DKP und der SDAJ noch gerne einen Kaffee zum Auf­wär­men und fahre dann frohen Mutes nach Hause:

Da geht doch was!

Und keiner hat mich nach meinem Alter gefragt…

Klaus Weißmann
Fotos: BSV Solingen



Wir dokumentieren die Rede von Nico Bischoff & Nuria Margarita Cafaro von der Bezirksschülervertretung Solingen zum Sternmarsch 29.05.2013

Kollage und Montage: »BSV Solingen. Schule geht vor«Liebe Schülerinnen und Schüler!
Liebe Lehrkräfte,
Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten!

Wir al­le ste­hen noch un­ter dem Ein­druck der fa­schis­ti­schen Ter­ror­an­schlä­ge des so­ge­nann­ten »NSU«. Die Ver­hand­lun­gen ge­gen die ex­trem rech­ten Ter­ro­ris­ten lau­fen noch. Un­längst wur­den in Nor­we­gen über 70 Mit­glie­der der so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Ju­gend von ei­nem Ras­sis­ten nur für ihr Ein­tre­ten für Völ­ker­freund­schaft hin­ge­rich­tet. Die NPD, aber auch Het­zer wie die Rechts­po­pu­lis­ten von ProN­RW ver­gif­ten un­ser po­li­ti­sches Kli­ma. Und auch in un­se­rer Stadt trei­ben Na­zis ihr Un­we­sen – durch das mas­si­ve, of­fe­ne und de­mo­kra­ti­sche En­ga­ge­ment vor al­lem des Bünd­nis­ses »So­lin­gen ist bunt statt braun« steht ih­nen zum Glück ei­ne gro­ße Mehr­heit ent­ge­gen.

Doch die de­mo­kra­ti­sche, an­ti­fa­schis­ti­sche Be­we­gung war lei­der nicht im­mer so stark und öf­fent­lich: Heu­te vor 20 Jah­ren, am 29.05.1993, war das Kli­ma in un­se­rer Stadt so ver­gif­tet, so ge­tränkt von Ras­sis­mus und Hass auf un­se­re So­lin­ger Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger, dass fünf jun­gen Men­schen das Le­ben durch den Brand­an­schlag ge­nom­men wur­de. Die­ser kalt­blü­ti­ge Mord war Aus­druck von tiefs­tem An­tih­u­ma­nis­mus und von Men­schen­ver­ach­tung.

Hass­pre­di­ger schü­ren Ras­sis­mus, Angst und Hass, auch auf uns So­lin­ger Schü­le­rin­nen und Schü­ler, sei es auf­grund von Haut­far­be, Re­li­gi­on oder po­li­ti­schen Welt­an­schau­ung. Sie for­dern Ab­schie­bun­gen, Se­lek­ti­on von Schü­le­rin­nen und Schü­lern nach Na­tio­na­li­tät, sie wol­len kei­ne Schü­ler­ver­tre­tun­gen, als die In­ter­es­sens­ver­tre­tung von uns al­len, und wol­len, dass wir al­le in ei­ner At­mo­sphä­re der Angst, des Has­ses und der Men­schen­ver­ach­tung le­ben. Sie wol­len uns ent­zwei­en und ge­gen­ein­an­der auf­het­zen.

Die­se Het­zer wol­len ein ähn­li­ches Kli­ma schü­ren, wie das vor 20 Jah­ren.

Wir al­le ste­hen heu­te hier, weil wir »Nein!« sa­gen.

Wir sagen Nein zu Ausländerhass, Rassismus und Faschismus!

Wir sagen aber vor allem Ja:

Wir sagen Ja zu Humanismus, Demokratie und Völkerfreundschaft!

Es ist toll, dass wir hier ste­hen! Es ist ein tol­les Zei­chen für ganz Deutsch­land und auch über un­se­re Gren­zen hin­weg, dass vor al­lem auch wir Ju­gend­li­che heu­te hier ste­hen. Un­ser Ge­den­ken, un­ser Mah­nen ist wich­tig.

Und wir wis­sen auch: Not­wen­dig sind de­mo­kra­ti­sche Ge­gen­ak­tio­nen, das ak­ti­ve Vor­ge­hen al­ler jun­gen De­mo­kra­tin­nen und De­mo­kra­ten. Wir wol­len ein bun­tes, ein de­mo­kra­ti­sches So­lin­gen!

Die Kraft, die im­stan­de ist, neo­fa­schis­ti­scher Ge­fahr zu be­geg­nen sind wir: Das sind wir Ju­gend­li­che, die zu­sam­men­ste­hen und ei­ne Kul­tur der Völ­ker­freund­schaft und des Frie­dens le­ben. Das sind wir Ju­gend­li­che, die nicht nur abs­trak­te de­mo­kra­ti­sche Wer­te ver­mit­teln, son­dern sich täg­lich für De­mo­kra­tie ein­set­zen, ob in der Schu­le, oder spä­ter im Be­trieb oder der Uni­ver­si­tät.

Wir las­sen uns nicht ent­zwei­en: Da, wo vie­le Men­schen für Re­spekt und So­li­da­ri­tät ein­ste­hen, nie­man­den au­ßen vor las­sen und der ex­tre­men Rech­ten ei­ne viel­fäl­ti­ge Kul­tur ent­ge­gen­set­zen, ha­ben je­ne ex­tre­me Rech­te we­nig Chan­cen.

De­mo­kra­tie muss durch ei­ne weit­ge­hen­de Be­tei­li­gung der Men­schen er­fahr­bar sein. Wir wol­len, dass al­le Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, die De­mo­kra­tie, To­le­ranz und ge­gen­sei­ti­gen Re­spekt le­ben wol­len, in un­se­rer Stadt auch oh­ne Angst fried­lich zu­sam­men le­ben kön­nen.

Dabei muss es egal sein, welcher Nationalität, Religion oder politischen Partei sie angehören. Wir wollen, dass antihumanistische, rassistische Hetze nicht erlaubt ist. Denn diese Hetze schadet uns allen.

Wir sind es nicht schuld, dass es den Fa­schis­mus in Deutsch­land gab und wir sind es nicht schuld, dass es im­mer noch brau­nes Gift auch in den Köp­fen un­se­rer Mit­schü­ler gibt.

Aber wir ha­ben ei­ne Ver­ant­wor­tung, ei­ne Ver­ant­wor­tung vor uns selbst: Wir wol­len ein gu­tes und schö­nes Le­ben ha­ben und da­für wol­len wir auch ei­ne de­mo­kra­ti­sche und fried­li­che Stadt und ein eben­sol­ches Land ha­ben. Wir for­dern wie Mil­lio­nen an­de­re Men­schen auch, dass kei­ne Na­zi­grup­pen in un­se­rem Land ihr Un­we­sen trei­ben kön­nen.

Wie es uns der is­rae­lisch-deut­sche An­ti­fa­schist Sal­ly Pe­rel, der den Zwei­ten Welt­krieg als Ju­de in der Hit­ler­ju­gend über­leb­te, in den letz­ten Ta­gen an ei­ni­gen un­se­rer Schu­len riet, sa­gen wir den Na­zis heu­te:

»Wir sind die deut­sche Ju­gend, nicht ihr!« – Er hat Recht.

Wir, die Schü­le­rin­nen und Schü­ler, die ei­ne gu­te Bil­dung wol­len, die ge­gen Leh­rer­man­gel und Un­ter­richts­aus­fall kämp­fen, die sich für klei­ne­re Klas­sen, mehr Mit­be­stim­mung und De­mo­kra­tie an der Schu­le ein­set­zen und An­tif­schis­mus täg­lich le­ben.

Wir sind die Ju­gend.

Es hört auch spä­ter nicht auf, denn: Wir, die jun­gen Ar­bei­ter und Aus­zu­bil­den­den für Über­nah­me und gu­te Ar­beit, oder wir, die Stu­den­ten für ei­ne de­mo­kra­ti­sche Hoch­schu­le, die nicht auf­hö­ren sich ge­gen Rechts zu stel­len.

Wir sind die Ju­gend.

Lei­der ha­ben wir bei den Vor­be­rei­tun­gen auf den heu­ti­gen Tag zum Teil auch ne­ga­ti­ve Er­fah­run­gen mit dem The­ma der Auf­ar­bei­tung die­ses schwar­zen Ka­pi­tels der So­lin­ger Ge­schich­te vor zwan­zig Jah­ren ma­chen müs­sen.

Wäh­rend vie­le Schu­len in So­lin­gen ih­rem Er­zie­hungs­auf­trag, die Schü­le­rin­nen und Schü­ler zu mün­di­gen Men­schen zu er­zie­hen, nach­ge­kom­men sind, gibt es lei­der auch ei­ni­ge Schu­len, in de­nen Schü­ler- ob di­rekt oder in­di­rekt – dar­an ge­hin­dert wur­den, mit dem The­ma wirk­lich in Kon­takt zu tre­ten.

Auch in So­lin­gen ma­chen wir lei­der die trau­ri­ge Er­fah­rung, dass sich ei­ni­ge Schul­lei­tun­gen ge­gen ak­ti­ve Be­stre­bun­gen der Schü­ler­schaft zur Wehr setz­ten, ja sie gar ver­hin­dern wol­len!

Ak­ti­ve SVen sind an vie­len Schu­len zwar be­grenzt er­wünscht, an ei­ni­gen wird je­doch ver­sucht, ihr En­ga­ge­ment nicht über die ei­ge­nen Schul­to­re hin­aus zu för­dern.

Wir for­dern al­le Schul­lei­tun­gen auf, ih­rer Pflicht im Sin­ne des ge­setz­li­chen Er­zie­hungs­auf­trags nach­zu­kom­men und den Schü­le­rin­nen und Schü­lern al­les nur er­denk­li­che an­zu­bie­ten, da­mit sie En­ga­ge­ment für Frie­den, De­mo­kra­tie, Frei­heit und Völ­ker­freund­schaft so breit wie mög­lich aus­üben kön­nen!

Denn ei­nes ist klar: Wenn wir al­le zu­sam­men­ste­hen, zu­sam­men­ste­hen für ein gu­tes Le­ben in Frie­den und De­mo­kra­tie, dann ha­ben ex­trem Rech­te kei­ne Chan­ce. Dann kann so et­was wie 1933 nie wie­der pas­sie­ren.

Nie wie­der Fa­schis­mus!

Dar­um ist es wich­tig, dass wir hier heu­te für ei­ne bun­te Stadt sor­gen, auch zwan­zig Jah­re nach dem Brand­an­schlag.

Dar­um ist es wich­tig, dass wir uns für De­mo­kra­tie und Völ­ker­freund­schaft ein­set­zen. Um noch ein Zi­tat von Sal­ly Pe­rel hin­zu­zu­fü­gen:

»So­lin­gen muss im­mer ei­ne Fes­tung der De­mo­kra­tie
und des Frie­dens blei­ben!«

Und ja:

Wir schaf­fen ein So­lin­gen oh­ne Ras­sis­mus und Fa­schis­mus!
Wir schaf­fen ein bun­tes, ein de­mo­kra­ti­sches So­lin­gen!

Nico Bischoff & Nuria Margarita Cafaro
Vorstandsmitglieder der BSV Solingen

 



Wir dokumentieren die Rede von In­ge Krä­mer auf der Kund­ge­bung zum Stern­marsch der So­lin­ger Schu­len am 29.05.2013 an­läss­lich des 20. Jah­res­ta­ges des Brand­an­schla­ges.

Logo: VVN-BdALiebe Schülerinnen und Schüler,

ihr seid heu­te von eu­ren Schu­len in die In­nen­stadt von So­lin­gen ge­kom­men, um am Stern­marsch zum 20. Jah­res­tag des Brand­an­schla­ges teil­zu­neh­men. We­der ihr noch eu­re El­tern müs­sen sich Sor­gen ma­chen, dass ihr des­halb den Un­ter­richt ver­säumt. Was ihr hier er­lebt, ist ei­ne Lehr­stun­de von be­son­de­rer Le­ben­dig­keit: in Ge­schich­te, Po­li­tik und So­zi­al­wis­sen­schaft. Hier lernt ihr, nicht gleich­gül­tig zu blei­ben ge­gen­über der Ent­wick­lung von Rechts­ex­tre­mis­mus, Ge­sicht zu zei­gen, Ge­mein­schafts­ge­fühl zu ent­wi­ckeln und So­li­da­ri­tät zu üben mit de­nen, die ras­sis­ti­schen An­grif­fen aus­ge­setzt sind. Um­so be­fremd­li­cher ist das Ver­hal­ten ei­ni­ger Leh­rer und Schul­lei­ter, die ih­ren Schü­lern Schwie­rig­kei­ten ge­macht und Ängs­te ver­brei­tet ha­ben, an die­sem Stern­marsch teil­zu­neh­men. Des­halb ein herz­li­cher Gruß an die Leh­rer, die ih­re Klas­sen zu die­ser De­mons­tra­ti­on be­glei­tet ha­ben und Re­spekt vor ih­rer Ver­ant­wor­tung!

Wir sind hier­her ge­kom­men, um der Men­schen zu ge­den­ken, die vor 20 Jah­ren in den Flam­men ih­res Hau­ses star­ben, die aus ras­sis­ti­schen Grün­den er­mor­det wur­den. Wir den­ken aber auch an die Über­le­ben­den, die bis heu­te un­ter den Fol­gen die­ses An­schla­ges lei­den müs­sen.

Wir sind hier­her ge­kom­men, um aus der Ver­gan­gen­heit zu ler­nen, in der Ge­gen­wart das Nach­den­ken an­zu­re­gen und für die Zu­kunft das Wei­ter­den­ken zu be­för­dern.

Die At­mo­sphä­re vor 20 Jah­ren war ge­prägt von der De­bat­te um die Ver­schär­fung des Asyl­rechts, kräf­tig an­ge­heizt von der Bou­le­vard­pres­se. Sät­ze wie »Das Boot ist voll«, Wor­te wie Schein­asy­lan­ten, So­zi­al­schma­rot­zer und Asy­lan­ten­schwem­me mach­ten nicht nur an den Stamm­ti­schen die Run­de. Die­ses Kli­ma war der Nähr­bo­den, auch für die Mor­de von So­lin­gen.

Im idyl­li­schen Stadt­teil So­lin­gen Gräf­rath, exis­tier­te der Kampf­sport­ver­ein Hak Pao, des­sen Mit­glie­der engs­te Ver­bin­dun­gen zu rechts­ex­tre­mis­ti­schen Par­tei­en hat­ten und den Saal­schutz bei Na­zi-Ver­an­stal­tun­gen stell­ten. Ihr Lei­ter, Bernd Schmitt, war V-Mann des Ver­fas­sungs­schut­zes. Er wur­de vom In­nen­mi­nis­te­ri­um be­zahlt.

Drei der vier An­ge­klag­ten im Pro­zess zum So­lin­ger Brand­an­schlag wa­ren Mit­glie­der die­ses Ver­ban­des. Je­der Frei­tag stand un­ter dem Mot­to: Ka­na­ken­freie Zo­ne.

Fa­schis­ti­sche Pa­ro­len an Mau­ern und Häu­ser­wän­den, Schmie­re­rei­en von Ha­ken­kreu­zen wa­ren in un­se­rer Stadt kei­ne Sel­ten­heit.

Vor ei­ni­gen Jah­ren fand im Foy­er un­se­res Thea­ters ei­ne Aus­stel­lung statt, die auch von zahl­rei­chen Schul­klas­sen be­sucht wur­de: Op­fer rech­ter Ge­walt. Do­ku­men­tiert wur­den die Kurz­bio­gra­fi­en von mehr als 140 Frau­en, Män­nern und Kin­dern, die durch rech­te Ge­walt er­schla­gen, er­schos­sen, er­sto­chen oder ver­brannt wur­den, wie hier in So­lin­gen. In­zwi­schen spricht man von mehr als 180 Mord­op­fern aus ras­sis­ti­schen Mo­ti­ven.

180 – ei­ne Zahl. Da­hin­ter ste­hen Ge­sich­ter von Men­schen mit ih­ren Le­bens­er­war­tun­gen, Hoff­nun­gen und Träu­men. Kin­der, die er­mor­det wur­den, noch be­vor sie das Le­ben rich­tig le­ben konn­ten. Män­ner, her­aus­ge­ris­sen aus ih­ren Fa­mi­li­en, Kin­der als Halb­wai­sen zu­rück­las­send. In den letz­ten zehn Jah­ren wa­ren es zehn Op­fer der Na­zi­ban­de NSU, die un­ter den Au­gen des »Ver­fas­sungs­schut­zes« er­mor­det wur­den.

Se­hen wir uns in un­se­rer Stadt um: Da sind die grie­chi­schen, tür­ki­schen oder chi­ne­si­schen Re­stau­rants, de­ren Kü­che wir ge­nie­ßen, da tref­fen wir in den Kran­ken­häu­sern Schwes­tern, Ärz­te und Pfle­ger, Rei­ni­gungs­kräf­te und Kü­chen­hil­fen vie­ler Na­tio­na­li­tä­ten, eben­so in den Al­ten- und Pfle­ge­hei­men. Wir wer­den in Bus­sen und Bah­nen von Men­schen mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund be­för­dert. Men­schen, de­ren El­tern einst nach Deutsch­land aus­ge­wan­dert sind, be­rei­chern heu­te Wis­sen­schaft, Tech­nik und die Kul­tur un­se­res Lan­des. Mil­lio­nen ha­ben am ver­gan­ge­nen Sams­tag das Fuß­ball­spiel zwi­schen dem FC Bay­ern und Bo­rus­sia Dort­mund mit Span­nung ver­folgt und den Bay­ern für ih­ren Sieg zu­ge­ju­belt. Ha­ben die Fans wohl dar­an ge­dacht, wie vie­le der Spie­ler aus­län­di­sche Wur­zeln ha­ben? All die­se Men­schen sind ein in­te­gra­ler und gleich­be­rech­tig­ter Be­stand­teil un­se­rer Ge­sell­schaft.

Des­halb: schweigt nicht zu ras­sis­ti­schen Äu­ße­run­gen in der Schu­le, in eu­rem Freun­des- und Be­kann­ten­kreis. Tre­tet ih­nen mu­tig ent­ge­gen, zeigt Zi­vil­cou­ra­ge!

Nach dem Brand­an­schlag vor 20 Jah­ren ent­stand an der Mild­red-Scheel-Schu­le ein Mahn­mal: Ein Mann und ei­ne schwan­ge­re Frau zer­rei­ßen ein Ha­ken­kreuz. Rin­ge mit ein­gra­vier­ten Na­men von Men­schen aus dem In- und Aus­land, die auch hier ein Zei­chen set­zen wol­len ge­gen Hass und Ge­walt sind Be­stand­teil die­ses Mahn­mals. Mehr als 5000 Rin­ge wur­den bis­her ge­fer­tigt.

Heu­te, bei der of­fi­zi­el­len Ge­denk­fei­er der Stadt, wird Heinz Sie­ring, der Lei­ter der Ju­gend­hil­fe­werk­statt für sein jahr­zehn­te­lan­ges En­ga­ge­ment mit dem »Sil­ber­nen Schuh« aus­ge­zeich­net. Er hat­te die Idee, ge­mein­sam mit den Ju­gend­li­chen sei­ner Werk­statt, die­ses Mahn­mal zu er­rich­ten. In sei­ner Art bis­her ein­ma­lig. Ich glau­be, wir könn­ten Heinz Sie­ring kei­ne grö­ße­re Eh­re er­wei­sen, als die­ses Mahn­mal wach­sen zu las­sen mit eu­ren Rin­gen und eu­ren ein­gra­vier­ten Na­men, Rin­ge, die sym­bo­lisch zu­sam­men­schwei­ßen sol­len und ei­nes Ta­ges das zer­ris­se­ne Ha­ken­kreuz über­wu­chern wer­den.

Die Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Na­zi­re­gimes, für die ich heu­te hier spre­che, hat ih­re Ur­sprün­ge in den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern und Zucht­häu­sern des Hit­ler­fa­schis­mus. Dort ent­wi­ckel­ten ein­ge­ker­ker­te Geg­ner Plä­ne für ein be­frei­tes, fried­fer­ti­ges und de­mo­kra­ti­sches Deutsch­land, als an­de­re noch »Sieg Heil!« schrien. Kurz nach En­de des Zwei­ten Welt­krie­ges grün­de­ten sie die VVN, die bis heu­te die grö­ß­te deut­sche Or­ga­ni­sa­ti­on von Ver­folg­ten des Na­zi­re­gimes ist. Sie er­hielt den Zu­satz BdA – Bund der An­ti­fa­schis­tIn­nen und si­gna­li­siert die Be­geg­nung und Ge­mein­sam­keit der Ge­ne­ra­tio­nen.

Ich bin Mit­glied die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on ge­wor­den, weil ich als Kind die Ver­haf­tung mei­nes Va­ters durch die Ge­sta­po mit­er­le­ben muss­te. Er hat­te als Berg­mann un­ter Ta­ge sein Brot mit rus­si­schen Zwangs­ar­bei­tern ge­teilt. Für Chris­ten ein Akt der Nächs­ten­lie­be, mein Va­ter nann­te es So­li­da­ri­tät. Für die Fa­schis­ten war es ein Ver­bre­chen. Ich ha­be vie­le Ta­ge und Näch­te mei­ner Kind­heit in Luft­schutz­kel­lern und Bun­kern ver­brin­gen müs­sen, weil der Krieg, der vom deut­schen Fa­schis­mus in zig Län­der ge­tra­gen wur­de, dort­hin zu­rück kam, wo er her­ge­kom­men war.

Nie wie­der Krieg, nie wie­der Fa­schis­mus.

Das wün­sche ich euch und den nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen.

Wenn wir al­le zu­sam­men­ste­hen, ihr Jun­gen und wir Al­ten und al­le De­mo­kra­ten die­ses Lan­des, dann passt kein Na­zi mehr da­zwi­schen. Die­se Bot­schaft könn­te von die­ser Stadt, die­sem Platz aus­ge­hen: ei­ne Zu­kunft frei von Na­zis und Ras­sis­ten! In die­sem Sin­ne kön­nen wir der Op­fer wür­dig ge­den­ken.

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!

In­ge Krä­mer, VVN-BdA