Soziales

Medienkonsum und Gegenkultur [update]

Gruppe «Floh de Cologne».

Seminar
Kultur
für alle

Notizen zum Referat «Welche Bedeutung hat Kultur für unsere Gesellschaft?»

Am vergangenen Dienstag hat in der Republik durchschnittlich jeder Mensch ab 14 Jahre 230 Minuten, fast vier Stunden, ferngesehen. Die Menge der Minuten reduziert sich auf 212, wenn die Altersgruppen auf die Kinder ab 3 Jahre ausgedehnt wird.

1988 waren es noch 144 Minuten. 1997 schon 183. Im Jahr 2000 lag der Fernsehkonsum laut Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) bei 190 Minuten, 2015 belief er sich auf 223 Minuten pro Tag.

Mittlerweile sinkt der Fernsehkonsum leicht. Insbesondere bei den 14- bis 49-Jährigen ging im vergangenen Jahr die Nutzungsdauer von 187 auf 182 Minuten zurück.

Was machen die Menschen in der Zeit, in der das Fernsehgerät nicht läuft? Offenbar sehen immer mehr Menschen Filme und Nachrichten auf dem Laptop, dem Tablet oder Smartphone an.

Die Internetverbreitung wird für das Jahr 2015 mit 79,5 Prozent der ab 14-jährigen, deutschsprachigen Personen angegeben. Während der Durchschnittsonliner rund 1:48 Stunden täglich im Netz unterwegs ist, sind es bei den Onlinern mit mobilem Zugang 2:18 Stunden. Ein Jahr später, im Jahr 2016, verbrachten laut der ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 die Deutschen täglich 2:08 Stunden online. Dies ist ein Zuwachs von 20 Minuten gegenüber dem Vorjahr.

Der größte Teil der Internet-Tätigkeiten wird mit Kommunikation (39 Prozent) und Medien (25 Prozent) verbracht. Dabei entfallen auf die Mediennutzung, also TV oder Videos ansehen, Audios oder Radio hören bzw. Nachrichten oder Artikel im Netz lesen, täglich rund 34 Minuten, wobei nur rund elf Minuten pro Tag mit dem Ansehen von Fernsehsendungen bzw. -beiträgen oder Videos verbracht werden. Im Vergleich zu 2014 ist hier keine Entwicklung festzustellen. Insbesondere bei der Nutzungsdauer besteht nach wie vor ein enormer Abstand zwischen der herkömmlichen Fernsehnutzung und der Online-Bewegtbild-Nutzung. In der jüngeren Zielgruppe, 14 bis 29 Jahre, hat Online-Bewegtbild allerdings eine höhere Relevanz und liegt bei 30 Minuten. Treiber sind hier vor allem die YouTube-Stars der 14- bis 19-Jährigen.

Wenn wir die 39% Kommunikation von der Summe der Internettätigkeiten subtrahieren, kommen wir auf 50 Minuten täglichen Konsums vorgefertigter Dateien. Die würde ich den 223 Minuten des Fernsehkonsums zuschlagen, macht zusammen 273 Minuten. Radio in 2015 durchschnittlich 173 Minuten, Tages- und Wochenzeitungen 23 Minuten, Bücher 19 Minuten, Zeitschriften 6 Minuten, Musikkonserven 24 Minuten. Das sind, wenn ich vom Zeitaufwand für das Radiohören absehe, insgesamt 345 Minuten, also 5 Stunden 45 Minuten. Das ist der Mediumkonsum der Durchschnittsbürgerin und Durchschnittsbürgers. Mit dem Alter nimmt der Fernsehkonsum zu, dagegen sinkt die durchschnittliche Online-Zeit. Noch 1977 kam durchschnittlich jeder Mensch in der Republik auf 126 Minuten TV, hörte 95 Minuten Radio, las 27 Minuten Zeitung und nahm sich jeweils 11 Minuten Zeit für Bücher, Zeitschriften, bzw. Musikkonserve. Vor 40 Jahren kam man also ohne Radio auf 186 Minuten Medienkonsum, das sind 3 Stunden und sechs Minuten. Immerhin, knapp die Hälfte im Verhältnis zum heutigen Zeitaufwand.


Was geschah in den restlichen drei Stunden? Sind sie schon durch Arbeitszeit aufgebraucht worden?

Nein. Sehen wir uns da mal die Zahlen an:

Nach dem WSI-Report zur Arbeitszeit vom November 2014 nimmt die durchschnittliche geleistete Wochenarbeitszeit je Beschäftigten ab. Sie sank zwischen 1992 und 2012 um gut 2,5 Stunden oder 6,8 Prozent von 38,1 auf 35,5 Stunden ab (Statistisches Bundesamt 2014).

Gleichzeitig ging die Arbeitszeit der weiblichen Beschäftigten um 10,3 Prozent von 34 auf 30,5 und die der männlichen Beschäftigten um 2,9 Prozent von 41 auf 39,8 Stunden zurück. Die Arbeitszeitkluft zwischen Frauen und Männern vergrößerte sich von 7,8 auf 9,3 Stunden. Alle Hinweise deuten darauf hin, dass derartige Spreizung der durchschnittlichen Arbeitszeit noch zunehmen wird.

Der Rückgang der durchschnittlichen Arbeitszeit ist wesentlich auf die annähernd verdoppelte Teilzeitquote (Anstieg von 14,3 auf 27 Prozent) zurückzuführen; zudem sank die durchschnittliche Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten von 20 auf 18,2 Stunden. Die Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten blieb dagegen in etwa konstant und lag 2012 bei 41,9 Stunden und damit um gut vier Stunden über der durchschnittlichen tariflichen Arbeitszeit (37,7 Std.).

In etwa konstant blieb auch die tarifliche Wochenarbeitszeit mit 37,7 Stunden in Westdeutschland, insofern gingen hiervon keine Impulse mehr für einen Rückgang der geleisteten Arbeitszeit aus.

Die Arbeitszeit der Vollbeschäftigten ist in der Tat nicht gesunken. Das ISO-Institut hat schon 2004 festgestellt, dass ein Vollzeitbeschäftigter im Schnitt 42 Stunden pro Woche arbeite. Die Arbeitszeitstudie das Kölner Instituts zur Erforschung sozialer Chancen hatte im Auftrag des Arbeitsministeriums Nordrhein-Westfalen bundesweit 4000 abhängig Beschäftigte im Alter von 18 bis 65 Jahren befragt.

Der Arbeitszeitreport Deutschland 2016 der Dortmunder Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA) stellt fest, und neuere Daten habe ich nicht gefunden, dass Vollzeitbeschäftigte mittlerweile im Durchschnitt 43,5 Stunden pro Woche und damit 4,9 Stunden länger als vertraglich vereinbart arbeiten. Das Arbeitszeitvolumen ist ungleich verteilt, denn 44% haben eine lange Vollzeit von 40 bis 47 Wochenstunden, 13% arbeiten bis zu 59 Stunden, 4% sogar über 60 Stunden (S. 25).

39,62 Minuten benötigen die Deutschen durchschnittlich für den Weg zur Arbeit. Die Untersuchung wurde im Auftrag der Firma Samsung vorgenommen, im vergangenen Juni veröffentlicht. Sie beruht auf einer Befragung im Zeitraum 6. bis 18. November 2014. Die durchschnittliche Länge der Arbeitswege von 14,6 Kilometer im Jahr 1999 stieg auf 16,6 Kilometer im Jahr 2013. Quelle ist eine Untersuchung der Pendeldistanzen in diesem Zeitraum, die das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat durchführen lassen. Der ADAC kommt indessen schon im Jahr 2008 auf eine durchschnittliche Pendeldistanz von 17,7 km. Aus der Pendlerrechnung des statistischen Amtes von NRW («IT.NRW») vom Januar 2017 wissen wir, dass ein Erwerbstätiger, der aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit von seiner Wohngemeinde zu einer anderen nordrhein-westfälischen Gemeinde pendelt, im Jahr 2015 im Schnitt 19,7 Kilometer zurücklegte. Wie auch immer, wir wollen uns an den Durchschnitt halten und 40 Minuten als Dauer des Arbeitswegs annehmen.

Wenn wir jetzt diese Zeitangaben auf die Woche bei Annahme einer Fünftagewoche umrechnen, dann sind von den 168 Stunden, die eine Woche hat, bei einem Vollbeschäftigten abzuziehen:

56 Schlafen (8 Stunden pro Tag)
43,5 Arbeit
3,3 Fahrt zur Arbeit
26 Fernsehen
5,8 Internet
8,4 Lesen, Musikhören              
143 Stunden

Es verbleiben 25 Stunden. Wenn wir unterstellen, dass im Jahr 1977 die tarifliche Arbeitszeit 40 Stunden betragen hat, aber auch eingehalten wurde, die Fahrtzeit ähnlich hoch, Internetrecherche noch nicht bekannt war und der wöchentliche Fernsehkonsum 14,7 Stunden betrug, dann können wir uns ausrechnen, dass seinerzeit ein Vollbeschäftigter mehr Zeit hatte. Er hat auch nicht so viel gelesen und Musik gehört, 1,4 Stunden weniger als heute: sieben Stunden. Zusammen sind das 22 Stunden, die ihm an zusätzlicher Freizeit ohne Medienkonsum verblieben.

Was hat der durchschnittliche Vollbeschäftigte mit diesen 22 Stunden angefangen?

Beläufig: Selbstverständlich gibt es gutes und schlechtes Fernsehen – je nach Programm und Inhalt. Aber darüber will ich heute gar nicht reden. Immerhin erscheint es mir bedenklich, das unter dem Stichwort Fernsehkonsum Google eine Unzahl von Artikeln anbietet, die die Schädlichkeit des Fernsehkonsums für Kinder erörtern. Welchen Schaden Erwachsene nehmen könnten, wird nicht diskutiert.

Die Frage nach dem Zeitaufwand für Medienkonsum, Arbeit, Arbeitsweg hatte ich als Vorstandsmitglied des Kölner «Bürgerzentrums Alte Feuerwache» in einer Mitgliederversammlung gestellt, um an die Ursprünge auch dieses Bürgerzentrum in der seinerzeitigen Gegenkultur zu erinnern. In der Regel – so ist auch das Düsseldorfer ZAKK entstanden - , wurde mit den Kultur- und Bürgerzentren der Versuch gemacht, der herrschenden elitären bzw. kommerziellen Kultur eine selbstbestimmte und selbstorganisierte Alternative entgegenzusetzen. Sogleich stellt sich die Frage, was ist Gegenkultur? Hier sollen nur einige Bespiele genannt werden, die ich dazu rechnen möchte.

Erinnert Euch an die Düsseldorfer Wandmalergruppe. Viele von den Wandbildern sind nicht mehr erhalten. Ein Beispiel: das Ohr am Hellweg. Die Gruppe der Düsseldorfer Wandmaler sind mindestens einmal vor dem Düsseldorfer Karnevalszug vorweg gegangen und haben einen sogenannten «Reaganburger» mitgeschleppt, der statt mit Fleisch versehen zu sein, vor Waffen strotzte. In Köln hat sich mittlerweile auch ein Gruppe etabliert, die mit kritischen ästhetischen Formen, gewissermaßen als Happening, dem Zug vorangeht. Aber auch normale Demonstrationen weisen häufig Elemente von Happenings auf.

Die Stunksitzung in Köln hat als Alternative zum Sitzungskarneval begonnen, ist mittlerweile fest in diesen eingebunden.

Straßenfeste haben sich mittlerweile etabliert, aber auch sie waren zunächst mal Formen des Protests und einer Gegenkultur. Das UZ-Pressefest hält diese Tradition aufrecht. Einige Jahrzehnte etabliert, manchmal sogar kommerziell erfolgreich waren Konzertagentur und Verlag Pläne, der Liedermacher und alternative Konzerte organisierte, nicht zuletzt für Gewerkschaftsveranstaltungen. In den siebziger Jahren gab es noch eine Kulturabteilung des DGB, Leiter war Ossi Todtenberg. Was hat die gemacht?

Arbeiterlieder wurden seinerzeit wiederbelebt, Ostermarsch- und Friedenslieder neu geschreiben. Wer kennt noch Floh de Cologne?

In der Vergangenheit zählten sicher Mutter Ey, ihr Laden und später ihre Galerie in Düsseldorf zur Gegenkultur. Gegenwärtig wird das noch in der Dix-Ausstelung in der Kunstsammlung NRW sichtbar.

Die Stolpersteine aus Messing, mit denen der Künstler Gunter Demnig seit 1992 an Opfer des Faschismus erinnert, sind mittlerweile in vielen Städten in den Boden eingelassen. Insgesamt schon 60.000. In Dormagen 46, Neuß 76, Mönchengladbach 255, Düsseldorf 291, allein in Köln sind es 2164. Überhaupt gibt es vielfältige Formen antifaschistischer Erinnerungskultur und es gelingt häufig, sie zu etablieren.

Düsseldorf ist mittlerweile stolz auf Heinrich Heine, der hier geboren wurde. Das war nicht immer so. Erst als linke Studenten 1972 die Forderung erhoben, die Universität nach dem Dichter zu benennen und darin gegen vielfältigen Widerstand nicht nachließen, konnte sich das Heine-Bild der Stadt allmählich verändern. Seit 1989 heißt die Uni nach Heinrich Heine. Ein Erfolg von Gegenkultur, zu dem viele beigetragen haben.

Und zuletzt noch das Beispiel für eine mittlerweile höchst etablierte Kunst: der Impressionismus. Als die Impressionisten 1874 ihre erste Ausstellung zeigten, wurden sie verhöhnt und als Kommunarden (Mitglieder und Befürworter der Pariser Kommune von 1871) beschimpft – «Impressionismus» war seinerzeit ein Schimpfwort, die Künstler höchst verächtlich, weil sie von der seinerzeit herrschenden akademischen Malerei offenkundig abwichen.

Text: Klaus Stein
Hattingen, 18. März 2017
Foto: Floh de Cologne, CC BY-SA 3.0 de


 Mutter Ey