Betrieb & Gewerkschaft

Regelanfrage und Berufsverbote in NRW

Betroffene vor Fotoausstellung.

 

Regelanfrage und Berufsverbote in NRW

GEW Veranstaltung in Oberhausen vom 21.02.2017

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Berufsverbote kamen nicht aus heiterem Himmel. «Wer als Beamter, Angestellter oder Arbeiter im Bundesdienst an Organisationen oder Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Staatsordnung teilnimmt, sich für sie betätigt oder sie sonst unterstützt, … macht sich einer schweren Pflichtverletzung schuldig.» So lautete der sogenannte Adenauererlass vom 19. September 1950.

Er zählte 13 Organisationen auf, deren Unterstützung als unvereinbar mit den Dienstpflichten erklärt wurde. Es betraf neben der KPD noch die FDJ, den Kulturbund, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Ein Jahr später folgten die Blitzgesetze gegen solche Delikte wie «Hochverrat», «Staatsgefährdung» und «Landesverrat» als Reaktion auf die Proteste gegen die Wiederbewaffnung. Bekanntlich folgte kurz nach der Ergänzung des Grundgesetzes durch Artikel 87a («Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf») im Mai 1956 das KPD-Verbot im August desselben Jahres.

Kommunisten konnten legal erst wieder ab September 1968, nach der Gründung der DKP, in der Bundesrepublik Deutschland tätig sein. Schon drei Jahre später, am 25. September 1971, forderte Bundesinnenminister Ernst Benda (CDU) Berufsverbote: Wörtlich: «DKP- oder Spartakus-Mitglieder sind im öffentlichen Dienst untragbar. Soweit die bestehenden Rechtsgrundlagen nicht ausreichen sollten, sind sie zu schaffen oder zu ergänzen.» Aber die angekündigten  Rechtsgrundlagen sind nie geschaffen werden. Die Grundrechte des Grundgesetzes stehen dem entgegen. Dennoch musste gegen das Unrecht jahrelang gekämpft werden. Und der Kampf ist noch nicht vorbei.

Im November 1971 war Hamburg vorgeprescht. Die Hansestadt fasste einen «Extremistenbeschluss». Der Senat lehnte auf dieser Grundlage die Verbeamtung der jungen Lehrerin Ilse Jacob ab, Tochter des Kommunisten Franz Jacob, den die Nazis als Widerstandskämpfer im September 1944 hingerichtet hatten.

Just am 28. Januar 1972, dem Tag, an dem die Ministerpräsidentenkonferenz, ihre «Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im Öffentlichen Dienst» beschloss, war in der Düsseldorfer Kunstakademie der Lehrer Karl Heinz Henne aus Detmold auf Einladung des AStA zu Gast. Ihm wurde die Einstellung verweigert, weil er Mitglied der DKP war. 

Vier Tage vorher hatte die Kunstakademie in Gestalt ihrer Vollkonferenz gegen das Berufsverbot des Medienwissenschaftlers Horst Holzer protestiert, dem die Professur in Bremen verweigert wurde. Vorher war er wissenschaftlicher Assistent am Institut für Soziologie der Münchner LMU, derselben Uni, die sich gerade aktuell über das Votum des bayrischen Verfassungsschutzes im Fall des DKP-Mitglieds Kerem Schamberger hinweggesetzt hat. Kerem konnte am 22. Dezember seinen Doktorandenvertrag unterschreiben und arbeitet seit Januar. 

Die Berufsverbote erforderten ein System der Gesinnungsüberprüfung. Zu Beginn dieser Prüfung stand zunächst eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Vom 1. Januar 1973 bis zum 30. Juni 1975 wurden nach Mitteilung des Bundesinnenministeriums 454.585 Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre Gesinnung überprüft.

Einer Dokumentation der Koordinierungsausschusses der Bürgerinitiativen gegen Berufsverbote in NRW aus dem Jahre 1982, Titel «10 Jahre Kampf gegen die Berufsverbote», ist zu entnehmen, dass den Überprüfungen in NRW bis zu diesem Zeitpunkt 450 bis 500 Berufsverbotsmaßnahmen gefolgt waren. Die Zahl für das gesamte Bundesgebiet: 5000.

Drei Jahre später wies die Hamburger Initiative «Weg mit den Berufsverboten» für die Jahre 1973 bis 1976 eine dreiviertel Million Überprüfungen nach. Ab 1976 wurde die Anfrage beim Verfassungsschutz nicht mehr regelmäßig, sondern angeblich anlassbezogen angewandt. Insgesamt kamen die Einstellungsbehörden aber bis zum 30. April 1985 laut Arbeitsausschuss der Initiative auf 2.639.058 Überprüfungen, die zu 6.689 Berufsverbotsmaßnahmen führten. Für NRW lauten die Zahlen zu diesem Zeitpunkt 239.743 Anfragen und 600 Maßnahmen.

Von Anfang an stieß die Politik der Berufsverbote auf Widerstand und Protest. Es entwickelte sich eine der größten demokratischen Bewegungen der Bundesrepublik. Schon am Vorabend des Ministerpräsidentenbeschlusses demonstrierten in Hamburg mehrere tausend Menschen. Der Bürgerschaftsabgeordnete Gerhard Weber von der FDP nannte den Senatserlass «undemokratisch»: «Die Grundrechte gelten auch für Kommunisten. Der Senatserlass öffnet der Gesinnungsschnüffelei Tür und Tor». (Hamburger Morgenpost 28.1.1972)

Es bildeten sich überall in der Bundesrepublik lokale Initiativen, die sich – ausgehend von konkreten Fällen – der Verteidigung der verfassungsmäßigen Rechte widmeten. Mit einer Kundgebung im April 1973 in Dortmund, an der sich 20 000 Menschen beteiligten, erreichte der Protest einen ersten Höhepunkt. Wenig später konnte die bundesweite «Initiative gegen Berufsverbote» 120 örtliche Initiativen registrieren, 1979 waren es schon 350. Und die hatten zu tun. In Düsseldorf wurde mit einer regelmäßigen Veröffentlichung über den Verlauf insbesondere der juristischen Auseinandersetzung berichtet. Das betraf eine ganze Reihe von Fällen, ich schätze 10 bis 20. Zu diesen gehörte im Laufe der Zeit auch der eine oder andere Sozialdemokrat. Zu erinnern ist an den Fall der Juristin Charlotte Nieß, die in Bayern wegen ihrer Mitgliedschaft in der Vereinigung demokratischer Juristen die Einstellung verweigert worden war. Ihr wurde in NRW Asyl angeboten. Sie kam als Ministerialrätin ins Umweltministerium, wurde irgendwann Mitglied der Grünen und war später bis zu ihrem Ruhestand Umweltdezernentin der Stadt Düsseldorf. 

In Nordrhein-Westfalen war 1972 der Sozialdemokrat Heinz Kühn Ministerpräsident einer sozialliberalen Koalition, sein Stellvertreter war Willy Weyer, FDP. Diether Posser Justizminister. Posser gehörte bis 1988 auch den nächsten Landesregierungen an, zuletzt als Finanzminister. Als er am 9. Januar 2010 starb, formulierte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in einer Todesanzeige (FAZ, 14.1.10) im Namen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen: «Seine Amtszeit als Justizminister fiel in eine Zeit, in der die Verteidigung der demokratischen Rechtsordnung gegenüber terroristischen Gewalttaten und den Erscheinungen des politischen Extremismus im Vordergrund stand.» Abgesehen von der schlimmen Gleichsetzung von Linken mit Faschisten hinter dem Etikett Extremismus und der Verklammerung mit dem Begriff Terrorismus, hat es die Formulierung auch sonst in sich. Denn ausgesprochen wird nur, dass Possers Amtszeit in eine Zeit fiel, in der die Verteidigung der Rechtsordnung im Vordergrund stand. Possers Verdienste dabei werden gar nicht genannt. Auch nicht weitere Verdienste, die er sich in den 20 Jahren, in denen er Minister in NRW war, womöglich erworben hat. Vermutlich lag es auch nicht in Rüttgers Absicht zu würdigen, dass Dieter Posser jahrelang als «Anwalt im Kalten Krieg» (so der Titel seiner sehr lesenswerten Erinnerungen) Kommunisten in politischen Prozessen verteidigt hatte.

Im Juli des Jahres 1973 kommt es zum Berufsverbotsfall des Gerichtsassessors Volker Götz, DKP-Mitglied in Düsseldorf. Im Frühsommer sollte er als Richter auf Probe von Justizminister Diether Posser eingestellt werden. Posser hatte ihn schon am 6. Juni ernannt. Der Präsident des Oberlandesgerichts, Richter Thunecke, weigert sich indessen, diese Anstellung tatsächlich vorzunehmen und die Urkunde auszuhändigen. Er «remonstriert». Posser wiederum besteht auf seiner Entscheidung und bestätigt sie am 18. Juli. Vor deren Weiterleitung kommt es zu einer Kabinettssitzung der NRW-Landesregierung.

Die Einstellung von Volker Götz wird nun zunächst zurückgestellt. Nach einigen innerparteilichen Auseinandersetzungen und solchen zwischen SPD und FDP, dort vor allem Willy Weyer und Horst-Ludwig Riemer, beide FDP, wird Possers Entscheidung endgültig revidiert.

Das war seinerzeit der Tagesschau vom 1. August 1973 – damals kamen wir noch mit drei Sendern aus, es gab ARD, ZDF und das dritte Programm, nachts wurde Nebel gesendet – nicht nur eine Nachricht wert, sondern auch eine Sondersendung mit Informationen und Stellungnahmen zur Nichteinstellung von Volker Götz, für dessen Ernennung sich viele Organisationen und Persönlichkeiten eingesetzt hatten. Walter Ulbricht, der just an diesem Tag gestorben war, war für eine solche Sondersendung nicht prominent genug. Volker Götz hat wenig später vergeblich beim Verwaltungsgericht geklagt. Er ist dann als Anwalt für Mieterfragen in Düsseldorf bekannt geworden. Als Richter Thunecke in den Ruhestand verabschiedet wurde, war der FAZ von all den Entscheidungen, die er als Richter getroffen hatte, allein seine Remonstration, mit der er die Ernennung von Volker Götz zum Richter verhindert hatte, der Erwähnung wert.

Für Volker Götz hatte sich unter anderem die Landesorganisation der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes an Heinz Kühn und die Landtagsfraktionen gewandt. Es hieß in dem Protestschreiben: «Die Älteren in unseren Reihen wissen, wie der Herr Ministerpräsident und viele Abgeordnete, was es mit den Berufsverboten auf sich hat. Sie erinnern sich des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im Jahre 1933, das von den nazistischen Machthabern zum Anlass genommen wurde, um gegen Kommunisten, Sozialdemokraten, überzeugte Christen, wie liberal gesinnte Bürger und Juden vorgehen zu können und sie aus allen Verwaltungsstellen, der Justiz, den Schulen und Universitäten zu entfernen. In der Sache Volker Götz hat selbst noch in dem Jahre 1973 ein ehemaliger SA-Mann, wie der heutige Präsident des OLG, Dr. Thunecke, die Hand im Spiel. Leute, die Hitler willig folgten und seiner Staatsidee die Treue geschworen hatten, wurden bekanntlich durch das 131er Gesetz massenhaft in Beamtenpositionen geschleust. Stets, so lehrt die Erfahrung, dienten solche Ausnahmebestimmungen der Einschränkung der Demokratie. Deshalb gilt es erneut und entschieden den Anfängen zu wehren. Wir erwarten, dass die Ernennung des Assessors Volker Götz zum Richter entsprechend der Entscheidung des Ministers für Justiz ohne Verzögerung erfolgt - und dass der Ministerpräsidentenerlass aufgehoben wird.»

Das erwähnte 131er Gesetz bezieht sich auf den Artikel 131 des Grundgesetzes. Er lautet: «Die Rechtsverhältnisse von Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen, aus anderen als beamtenrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden, sind durch Bundesgesetz zu regeln.» Das Bundesgesetz, das hier gefordert ist, zählt zu den frühesten der jungen Bundesrepublik und datiert vom 11. Mai 1951. Es legalisiert die Integration von belasteten Nazi-Beamten. 1953 wird das Gesetz novelliert mit der Folge, dass nunmehr ehemalige NS-Beamte neben der Wiedereinstellung auch den Anspruch auf Erstattung nicht erhaltener Bezüge während der Zeit der Nichtbeschäftigung geltend machen können. Die Novelle verpflichtet öffentliche Verwaltungen zudem, 20 Prozent der Stellen mit Ex-NS-Beamten zu besetzen. Daraufhin kommen fast 90 Prozent der entlassenen Beamtenschaft in den öffentlichen Dienst zurück. Angesichts der schwachen Finanzlage von Bund, Ländern und Gemeinden wird so die Mitgliedschaft in der NSDAP faktisch Voraussetzung für die Einstellung in den öffentlichen Dienst. Eine weitere Novelle des 131er Gesetzes acht Jahre später garantiert Personen, die «wehrmachtsgleichen Dienst» geleistet haben, den Anspruch auf Versorgung. Das Bundessozialgericht in Kassel hat dann sogar Wachsoldaten im KZ Dachau als wehrmachtsgleich anerkannt.

"

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Landesverfassung gib uns als Lehrern mit dem Artikel 7 einen politischen Auftrag:

«(1) Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.

(2) Die Jugend soll erzogen werden im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung.»

Dieser Auftrag lässt noch erkennen, dass an der Verfassung des Landes NRW alle antifaschistischen Kräfte mitgearbeitet haben: Christen, Sozialdemokraten, Kommunisten.

Auch der Artikel 27 war seinerzeit, als die Verfassung erdacht wurde, Konsens:

«(1) Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden.

(2) Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sind zu verbieten.»

 

Anfang 1975 indes hatte ich als Seminarsprecher in Krefeld mal die Veranlassung, meine Kollegen zu fragen, ob sie solche Sätze unterschreiben würden, vielleicht sogar, wenn diese Unterschrift mit Berufsverbot bedroht würde. Von den etwa 70 Kolleginnen und Kollegen damals waren im ersten Fall eine Handvoll, im zweiten Fall nur noch zwei dazu bereit.

Die bundesdeutsche Gesellschaft war politisch und historisch schon zu weit von dem antifaschistischen Konsens entfernt, der noch in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg Geltung hatte. Selbst das Grundgesetz scheint mit seinen Grundrechten inklusive der Artikel 14 und 15, die das Recht auf Eigentum einschränken und dem Gemeinwohl unterordnen, aus der Zeit gefallen. Um so wichtiger ist es, daran zu erinnern, dass es in der Bundesrepublik Deutschland politische Verfolgung gab und gibt.

Der Kampf um den Erhalt und den Ausbau der Demokratie kann Erfolg haben. Die erwähnte Dokumentation des NRW-Koordinierungausschusses der Berufsverbotsinitiativen konstatierte 1982: «Unter dem Druck einer breiten demokratischen Öffentlichkeit im In- und Ausland mussten in NRW etwa 100 Betroffene eingestellt werden.»

Und in der Tat kulminierten seinerzeit die Resolutionen in den Unterbezirken der SPD schließlich in einem Beschluss eines Landesparteitags, der dazu führte, dass Johannes Rau 1980 im Landtagswahlkampf sagen musste, dass die DKP-Mitgliedschaft bei der Beurteilung der Verfassungstreue eines Bewerbers für den öffentichen Dienst nicht mehr ausschlaggebend sein dürfe. Bis auf wenige Fälle, die dem Verfolgungswillen der CDU geopfert wurden, kamen die meisten Betroffenen in ihren Beruf. Auch ich konnte im Dezember 1980 meinen Dienst antreten.

Ich habe ihn, denke ich, wie die anderen Betroffenen, zur Zufriedenheit aller Beteiligten, auch zu meiner eigenen, ausgeübt.

Nunmehr sind 45 Jahre seit dem Beschluss der Ministerpräsidenten vergangen. Es wird Zeit, dass das damalige Unrecht anerkannt wird. Berufsverbote, Bespitzelungen und politische Verdächtigungen dürfen keine Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein. Am 15. Dezember hat der Niedersächsiche Landtag eine Kommission zur Aufarbeitung der Schicksale der von Berufsverbot betroffenen Personen eingesetzt und eine Beauftragte ernannt. Es scheint an der Zeit, dass das auch in Nordrhein-Westfalen geschieht.

 Text und Fotos: Klaus Stein


«‹Vergessene› Geschichte Berufsverbote – Politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland» Beiträge auf GEW NRW