Betrieb & Gewerkschaft

Klinik-Beschäftigte zeigen Gesicht für mehr Personal – und rechnen aus, wie viel Personal nötig ist

Pflegerinnen mit verdi-Plakaten.

Klatschen reicht nicht

Mit einer Foto-Petition will ver.di die Forderung nach verbindlichen Vorgaben für mehr Personal in Krankenhäusern erneuern. Zum Anfang des nächsten Jahres fordert die Gewerkschaft, das Personal nach der neu entwickelten «Pflegepersonalregelung 2.0» festzulegen. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie notwendig die Bewegung für Entlastung in den Krankenhäusern ist.

ver.di hat Klinikbeschäftigte aufgerufen, ein Foto auf der ver.di-Website hochzuladen, wenn sie die Forderungen der Gewerkschaft unterstützen wollen. Ende September sollen diese Fotos auf einem «riesigen Banner» dem Gesundheitsminister Jens Spahn übergeben werden. Gleichzeitig finden die Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst statt. ver.di ordnet die Forderung nach Entlastung auch in diesen Tarifkampf ein.

Mit ihren Fotos unterstützen die Kolleginnen und Kollegen drei Forderungen: Erstens verbindliche Vorgaben für ausreichend Personal, zweitens die Finanzierung der Kliniken nach Bedarf und nicht nach den Pauschalen des DRG-Systems und drittens die Forderung «Ein Krankenhaus – eine Belegschaft», die sich gegen Outsourcing und die Spaltung der Belegschaften richtet.

Mit der Ausgliederung von Tätigkeiten in Tochtergesellschaften würden Krankenhausvorstände die Versorgung erschweren – «Krankenhäuser funktionieren nur mit Teamarbeit», stellt ver.di fest. Die Bundesregierung solle festlegen, dass «alle Leistungen vom Krankenhaus selbst erbracht werden müssen», so dass alle Beteiligten im selben Betrieb zu tariflich geregelten Bedingungen beschäftigt sind.

Um zu ermitteln, wie viel Personal auf der jeweiligen Station nötig ist, haben ver.di, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutsche Pflegerat Anfang des Jahres ein neu entwickeltes Instrument vorgestellt: die Pflegepersonal-Regelung (PPR) 2.0. Die ursprüngliche PPR war 1992 in Kraft getreten. Später hat die Bundesregierung jedoch die Ermittlung des Personalbedarfs nach einem solchen Schlüssel abgeschafft – seitdem rechnen die Krankenhäuser nach Fallpauschalen ab, den «Diagnosis Related Groups» (DRG). Die Bewegung für Entlastung an den Kliniken richtet sich mit ihrer Forderung nach verbindlicher Personalbemessung also auch gegen dieses System der DRGs.

Der Fehler liegt im System

Gerade die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass dieses DRG-System eine bedarfsgerechte Versorgung behindert, stellt Grit Genster klar, Bereichsleiterin Gesundheitspolitik beim ver.di-Bundesvorstand. Als einen Beleg dafür sieht sie, dass in Kliniken keine ausreichenden Vorräte an Schutzausrüstung angelegt worden waren: «Der Grund hierfür ist, dass sich eine solche Vorsorge im DRG-System nicht rechnet. Dies ist nur ein Beispiel, das zeigt: Der Fehler liegt im System.» Genster bestreitet, dass das DRG-System – wie von der Regierung behauptet – Anreize setze, um die Krankenhäuser effizient zu organisieren. Denn es orientiert sich an den bundesweiten Durchschnittskosten – die tatsächlichen Kosten unterschieden sich aber nach Größe des Krankenhauses oder der Sozialstruktur der Region. Dadurch könnten beispielsweise Häuser, die sich auf lukrative Fälle spezialisieren, Gewinne machen.

Die PPR 2.0 soll ermöglichen, nach pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen das nötige Personal zu ermitteln. Sie ordnet die Patientinnen und Patienten in verschiedene Kategorien ein, je nachdem, in welchem Ausmaß sie auf pflegerische Hilfe und Behandlung angewiesen sind. Jeder Kategorie wird eine bestimmte Arbeitszeit in Minuten pro Schicht zugewiesen, außerdem legt die PPR zum Beispiel fest, dass die Neuaufnahme eines Patienten auf der Station eine Arbeitszeit von 75 Minuten erfordert. Diese Werte, die der Berechnung zu Grunde liegen, wurden für die PPR 2.0 gegenüber ihrer Vorgängerin ergänzt und überarbeitet. ver.di geht davon aus, dass es ohne großen Aufwand möglich wäre, dieses Instrument verbindlich einzuführen: Zum einen verwenden viele Häuser die alte PPR oder ähnliche Rechnungen für ihre interne Organisation. Zum anderen ist die Berechnung selbst relativ unkompliziert – die Gewerkschaft stellt auf ihrer Webseite eine Tabelle zur Verfügung, mit der Beschäftigte selbst berechnen können, wie viel Personal auf ihrer Station nach PPR 2.0 nötig wäre.

Im Februar und März, noch vor Beginn der Corona-Maßnahmen, haben die Beschäftigten verschiedener Kliniken nachgerechnet. Die Kollegen einer kardiologischen Station in Berlin berichten, dass auf ihrer Station die von der Bundesregierung eingeführten Pflegepersonal-Untergrenzen, die während der Pandemie wieder ausgesetzt wurden, eingehalten wurden. «Aber der Test zeigt, wie weit diese von einer bedarfsgerechten Versorgung weg sind.» Nach PPR 2.0, so das Ergebnis, bräuchten sie 40 Prozent mehr Personal – und hätten damit «endlich wieder Zeit für Pflege und Zuwendung. Das kommt jetzt zu kurz.» Die Pflegekräfte einer chirurgischen Station in Stuttgart haben berechnet, dass bei ihnen die PPR 2.0 nur zu 66 Prozent erfüllt ist – nach dieser Regelung hätten sie in jeder Schicht mindestens eine Kollegin mehr. Ihre Schlussfolgerung: «Mit einer solchen Besetzung könnte man gründlich arbeiten, ohne ständig in Hektik zu sein und zu überlegen, was man weglässt.»

Olaf Matthes
UZ vom 31. Juli 2020
Foto: Peter Köster

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